Online-Glossar Velotechnik von Christian Smolik |
1. Allgemeinbez. für Vorder- wie Hinterrad. 2. andere Bez. für > Draisine. ad 1. Die folgenden Ausführungen beziehen sich alle auf 1., wo seit einigen Jahren neben dem klassischen Speichenrad auch aufwendige Hi-Tech-Produkte wie > Scheibenräder und > Composite Wheels zu finden sind. Speichenrad Das klassische Laufrad besteht aus > Nabe + > Achse, > Speichen, > Felge, > Reifen (ggf. + > Schlauch), wobei neben den Felgeneigenschaften Anzahl, Spannung und Schräge der Speichen eine "tragende" Rolle spielen. Lastverteilung Von außen einwirkenden Kräften arbeiten Nabe, Felge und Speichen im Teamwork entgegen - die Lasten werden aufgeteilt, jedes Element muß nur einen Teil des Ganzen tragen. Genauer: Die Fahrerlast (bei Fahrbahnunebenheiten sogar ein Vielfaches davon) drückt die Felge im Kontaktbereich mit dem Untergrund etwas "platt", was drei bis fünf Speichen mehr oder weniger von der Vorspannung befreit und alle anderen Speichen dafür etwas stärker belastet. Zur Verdeutlichung ein überschlägiges Zahlenbeispiel: Belastet man ein Hinterrad mit einer Krafteinwirkung von 1.000 N (entspricht einer Gewichtsbelastung von 100 Kilogramm), werden fünf Speichen um ca. je 200 Newton entlastet. Beim 36-Speichenrad sorgen die restlichen 31 Speichen für den Ausgleich, wobei jede Speiche lediglich 32 Newton Mehrbelastung aufgebürdet bekommt. Ein im Grunde genommen minimaler Betrag, da die Speichen ja mit rund 400 bis 1000 Newton vorgespannt sind und jede einzelne im Extremfall Zugkräfte bis 2.500 Newton aushalten könnte. Die Lastverteilung im Team vermittelt dem Laufrad seine Elastizität. Die Abplattung von Reifen und Felge nimmt Stößen bei Bodenwellen größtenteils ihre Wucht und sorgt damit für einen angenehmeren Fahrkomfort. Auch die Speichen werden hier zu Mitarbeitern: Infolge der Zugbelastungen "längen" sie sich geringfügig und lassen die Nabe ein Stück weit aus der Radmitte zur Straße hin "abtauchen". Das klassische Speichen-Laufrad ist geradezu ein Paradebeispiel für den > Leichtbau: Mit nur 0,6-1,2 kg Eigengewicht trägt dieses elastische Gebilde Lasten von 500 kg und mehr! Speichenzahl I.d.R. werden Laufräder mit 36 Speichen gebaut. Im Bereich des Radsports werden v.a. aus Gründen der Windschnittigkeit Speichenreduzierungen vorgenommen, bei hohen Gewichtsbelastungen des Fahrrades hingegen (z.B. > Reiserad; > Tandem) sogar mehr Speichen eingezogen. So kommt ein > Bahnrad mit weniger Speichen aus, weil die Laufräder von Fahrbahnunebenheiten verschont werden und der zusätzliche "Kurvendruck" die Höhe der Belastungsstöße von Straßenunebenheiten nicht erreicht. Am schwer belasteten Reiserad dagegen können zusätzliche Speichen am Hinterrad durchaus sinnvoll sein, gleiches gilt fürs Tandem, wo es ratsam ist, die Speichenanzahl auf 40 oder gar 48 zu erhöhen. Im Rennsport versucht man die Speichenzahl nicht nur aus Gewichtsgründen zu reduzieren, sondern v.a. zur Verbesserung der > Windschnittigkeit (weniger Verwirbelungen). Das hat natürlich seine Grenzen. Um ein halbwegs betriebssicheres Laufrad zu erhalten, kann man sich bei Verwendung von Standardfelgen an die in der Tabelle genannten Werte halten. TABELLE: Minmale Speichenanzahl (für Felgen á 450 Gramm) Fahrergewicht Vorderrad Hinterrad Kastenfelge Tropfenfelge Kastenfelge Tropfenfelge Rennrad Tria-Rad Mopuntainbike bis 60 kg 24 20 28 24 bis70 kg 28 24 32 28 bis 80 kg 32 28 36 32 bis 90 kg 32 28 36* 36 über 90 kg 36 32 36* 36 Reiserad mit mehr als 30 kg Gepäck bis 70 kg 36 32 36* 36 über 70 kg 36* 36 40* 40 Tandem zus. bis 140 kg 36* 36 40* 40 zus. über 140 kg 40 36 48 40* * 3-D-Speichen verwenden Weitere Speichen-Minimierungen sind nur mit den Extremen-Tropfenfelgen (siehe Kapitel Sonder-Laufräder) oder bei kleinem Laufraddurchmesser sinnvoll. Weil nun aber spezielle Naben und Felgen mit entsprechend wenigen Speichenlöchern schwer oder gar nicht zu finden sind, besteht die Möglichkeit durch Auslassen von Speichenlöchern in Nabe und Felge ein Laufrad mit geringerer Speichenanzahl einzuspeichen. Bei noch weiterer Speichenreduzierung wird eine steifere Felge benötigt. Vorreiter war hier die franz. Fa. Roval mit 18 Speichen im Vorder- und 24 im Hinterrad. Noch weiter reduzierte > Campagnolo mit seinen "Shamal"-Laufrädern die Speichenanzahl: Mit einer extrem hohen und dadurch steifen > Tropfenfelge kommt man vorne mit 14 und hinten mit 18 Speichen aus. Ähnliche Effekte erreicht der amerik. Hersteller Zipp mit einer fast identischen Felge, die allerdings aus > Carbon besteht. Bei kleineren Laufrädern wird die Felge in sich bereits steifer, außerdem stehen die Speichen näher zusammen und auch schräger, womit sich hier weitere Speichenreduzierungen erzielen lassen. So ist beispielsweise ein 26" MTB-Laufrad mit 28 Speichen (Felgengröße nach ETRTO 559) mit gleichem Felgenquerschnitt etwa genauso seitensteif wie ein 28"-Laufrad mit 36 Speichen (Felgengröße nach ETRTO 622). Speichenspannung Die Speichenspannung wirkt sich hauptsächlich auf die vertikale Steifigkeit, weniger die > Seitensteifigkeit der Laufräder aus. Faustregel: Doppelte Speichenspannung = doppelte vertikale Steifigkeit, aber nur 1/4 bessere Seitensteifigkeit. Von "weich eingespannten" Laufrädern spricht man, wenn die Speichenspannung rund 400 N, von "hart eingespeichten", wenn sie 900-1000 N beträgt. Hart eingespeichte Laufräder halten länger, weil die Felge sich im Kontaktbereich zur Fahrbahn weniger stark abflacht und so die Speichen einer geringeren Schwellast unterliegen. Der gleiche Sachverhalt liegt auch bei der Verwendung von > Tropfenfelgen vor. Außerdem lösen sich bei harter Einspeichung die Speichennippel weniger leicht. Speichenschräge Auch die häufig unterschätzte Speichenschräge spielt für die Laufradstabilität eine Rolle, v.a. für die > Seitensteifigkeit: Das Vorderrad mit seinen 70 - 74 mm auseinander liegenden > Nabenflanschen besitzt eine erheblich größere Stabilität als das Hinterrad, bei dem der Abstand lediglich 48-52 mm beträgt (wg. dem f.d. > Ritzel benötigten Platz). Daher stehen am Hinterrad die Speichen erheblich steiler, was die Defektanfälligkeit erhöht (s. > Speichenbruch) und die Spureigenschaften des Rades verschlechtert (schwammiges Fahrgefühl). Weitere Einzelheiten s. > Speichenschräge. Scheibenrad Mit dem Stundenweltrekord von Francesco Moser 1984 hielt die Urform des Rades wieder Einzug in die Fahrradtechnik, das Scheibenrad. Diese in > Faserverbundbauweise aus > Carbon und > Kevlar gefertigten Laufräder erbringen gegenüber einem 36-Speichen-Laufrad bei Tempo 40 km/h volle 20 W (> Watt) Treterleichterung (zum Vergleich: Shamal-Laufräder (s.o.) und Composite-Wheels (s.u.) 8-10 W). Die Ursache liegt in der besseren > Aerodynamik, da die Luftverwirbelungen vermieden werden, wie sie ansonsten bei jeder einzelne Speiche entstehen. Nachteil ist die mangelnde > Stoßdämpfung bei unebenen Fahrbahnbelägen (Straßen) und die Seitenwindanfälligkeit vor allem beim Vorderrad. Weitere Einzelheiten s. > Scheibenrad. Composite Wheel Auch diese neueste Entwicklung auf dem Laufradmarkt (auch "Tri-Spoke" oder "Verbundlaufrad" genannt) wird in > Faserverbundbauweise hergestellt und ist in seiner Fertigung mindestens so aufwendig wie das Scheibenrad: Es kommt mit 3 - 5 Kompaktspeichen mit Tragflügelprofil aus und besitzt daher nicht die Seitenwindempfindlichkeit der Scheibenräder, reduziert aber (wie auch Shamal, s.o.) den Luftwiderstand bei 40 km/h um 8-10 W. Auch die vertikale Elastizität (> Stoßdämpfung) ist besser als die der Scheibenräder und erreicht (z.T. mit zu diesem Zweck gekrümmten Kompaktspeichen) sogar die Werte von Speichenlaufrädern. Weitere Einzelheiten s. > Composite Wheel. Vgl. aber auch > Shamal-Laufräder. Kunststoff-Laufräder Aus > Thermoplasten in > Spritzguß hergestellte Laufräder mit > Kompaktspeichen. > Kunststoff-Laufräder konnten sich bislang im Fahrradbereich nicht generell durchsetzen - obwohl sie hoch belastbar sind -, fanden jedoch ein Marktsegment bei > Kinder- und > BMX-Rädern. Problematisch ist v.a. die Nabenausbildung dieser Laufräder, da sie nicht mit den handelsüblichen Ausführungen bestückt werden können. Die Sondernabenausführung wie die Torpedo-Jet-Einstecknabe reicht nicht für höhere Ansprüche. s.a > Laufradgröße; > Laufraddurchmesser.
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Dipl.Ing.FH Christian Smolik 18.05.2000
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Dipl.Ing.FH Jörg Bucher zuletzt am 18.05.2000