Online-Glossar Velotechnik von Christian Smolik |
Mit der > Gabel verbundene und gemeinsam drehbar gelagerte Handhalterung, mittels derer ein Fahrrad v.a. bei Langsamfahrt gesteuert wird (bei hohem Tempo fast ausschließlich durch Gewichtsverlagerung, s. > Richtungskorrektur). Auf den Lenker kann der Radler einen Teil seines Körpergewichtes abstützen (bes. bei weiter Oberkörpervorlage) und so seine Sitzpartie entlasten. Aber er kann auch am Lenker ziehen und so bes. bergauf beim > Wiegetritt oder in der Beschleunigungsphase per Rumpf- und Armmuskulatur mehr Kraft auf das Pedal bringen. Desweiteren federt der Lenker aufgrund seiner Elastizität Fahrbahnunebenheiten aus und trägt so zum > Fahrkomfort bei. Mit > Vorbau und den verschiedensten Lenkerformen wird versucht, die Oberkörperhaltung des Radlers seinen spezifischen Bedürfnissen anzupassen. So will der Leistungssportler extrem geduckt fahren können, der gelegentliche Tourenfahrer dagegen aufrecht, um das Landschaftsbild zu genießen usw. Und während ursprünglich nur die schlichte, gerade "Lenkstange" üblich war, so haben im Laufe der Fahrradgeschichte die verschiedensten, nach oben, nach unten, nach vorne, nach hinten gebogenen Lenkertypen ihre Liebhaber gefunden, wobei der jeweilige Fahrradtyp den Kreis der Lenkerkandidaten i.d.R. schon einengt. Belastungen Als Vorderer Kontaktpunkt des Radlers mit seinem Fahrrad unterliegt der Lenker gehörigen Belastungen: Druck-belastungen Sie erreichen Spitzenwerte, wenn z.B. eine Bodenwelle "durchrumpelt" wird. Dabei können z.B. beim > Down Hill Druckkräfte bis 1.500 N (s. > physikalische Einheiten) auftreten, wobei Gewicht und Armkraft des Fahrers eine Rolle spielen. Zugbelastungen Sie erreichen Spitzenwerte, wenn der Lenker beim > Wiegetritt als "Gegenhalter" dient. Die dabei auftretenden wechselseitigen Zugbelastungen können bei antrittsstarken Radlern 1.000-2.000 N betragen! Eine Meßwertkurve für Lenkerbelastungen zeigt. konstruktive Maßnahmen Entsprechend dieser Belastungen ist der Lenker konstruktiv ausgelegt: Der Lenker benötigt eine absolut fest sitzende Klemmung, um sich unter Belastung nicht zu verdrehen. Er darf sich nach > DIN 79 100 bei einer Belastung von 600 N auf den Bremsgriffen nicht verdrehen. Das Problem stellt sich nicht bei preiswerten Lenkern, die mit dem > Vorbau verlötet oder verschweißt sind. Ein 20-35 cm langer Hebelarm von der Hand-Krafteinleitung bis zur Klemmstelle verlangt eine sehr hohe > Biegefestigkeit in der Lenkermitte (Klemmstelle). Aus diesem Grund sind die Lenker in der Mitte entweder durch eine übergezogene Manschette verstärkt, weisen hier einen verdickten Durchmesser auf oder besitzen eine Innenverstärkung (statisch ungünstig, da Querschnittssprung). Lenkerbruch Für sportlichen Einsatz bei weitem nicht ausreichend ist die Lenker-Prüfvorschrift der > DIN 79 100, die eine Dauerwechselbelastung von 150 N (1 Mio. Wechselspiele) vorschreibt. Insbes. bei > Mountainbikes kommt es mit Leichtlenkern (um 120 Gramm) immer wieder zu Lenkerbrüchen. Daher sollte folgende Faustregel als Schutz eingehalten werden: Lenker unter 150 Gramm Gewicht sind im jährlichen Turnus auszutauschen, ebenso, wenn ein Lenker bei einem Sturz leicht verbogen wurde. Auch Rennsportler sollten nach Sturz den Lenker austauschen und aus Gründen der > Korrosion Lenker aus > Aluminium sicherheitshalber alle zwei Jahre austauschen. Normalradler hingegen brauchen diesbezüglich keine Bedenken zu hegen, vgl. auch > Lenkerbruch. Zu den Enden hin kann der Lenker entsprechend dem Prinzip guten > Kraftflusses dünner und dünnwandiger gehalten werden, was einerseits Gewicht spart und andererseits erheblich zur > Dämpfung von Fahrbahnstößen beiträgt. Lenkerformen Kein anderes Fahrradteil ist in seiner Formgebung so variabel gestaltet wie der Lenker. Durch ihn kann die > Sitzposition sowohl an verschiedene > Fahrradtypen wie auch an individuelle Haltungspräferenzen angepaßt werden. Das reicht von einer eher aufrechten, bequemen Alltagshaltung bis zu einer eher geduckten, windschnittigen Sporthaltung, wobei es Lenker gibt (> Rennlenker; MTB-Lenker mit > Bar-Ends), die beide Sitzpositionen ermöglichen. Standardlenker Für den > Normalradler geeignete, aufwärts geschwungene und nach hinten weisende Lenkerformen, die eine aufrechte Fahrweise bei entspannter, verdrehungsfreier Handhaltung ermöglichen. Für die anzustrebende 45-Grad-Haltung des Oberkörpers muß dieser Lenkertyp tief genug montiert sein. "Gesundheitslenker": Dieser früher oft benutzte Lenker entspricht in seiner Form einem umgedrehten Rennlenker. Stark nach oben und hinten orientiert, ergibt sich eine aufrechtere als die 45-Grad-Haltung. Dies aber ist gar nicht so gesund, da Fahrbahnschläge nahezu senkrecht auf die Wirbelsäule einwirken und weniger ausgefedert werden können als bei vorgeneigtem Oberkörper. Die Bezeichnung rührt demgegenüber daher, daß man der Ansicht war, mit aufrechtem Oberkörper könne tiefer und damit "gesünder" durchgeatmet werden. MTB-Lenker 100 Jahre nach dem > Hochrad brachte das > Mountainbike die gerade Lenkstange wieder zur Geltung. Mit einer Breite von bis zu 70 cm lassen sich mit ihr große > Lenkkräfte ausüben, die im Gelände (Spurrillen, Fahren am Schräghang) auftreten. Diese Lenkerbreite ist auch nötig, da der > Lenkwinkel dieser Räder flach gehalten ist, das MTB also von Haus aus (längerer > Nachlauf) größere > Lenkkräfte benötigt als andere sportlich genutzte Fahrräder. Die beim geraden MTB-Lenker eingenommene Sitzposition vermittelt überdies ein sehr gutes > Handling des Bikes. Nachteilig - manche Radler sprechen sogar von einer "ergonomischen Katastrophe" - ist die Handgelenksverdrehung, die dieser Lenker erzwingt und vielen Fahrern Probleme bis hin zu Schmerzen bereitet. Mit hörnchenartigen Aufsätzen (> Bar Ends) oder in integrierter Bauart mit nach vorn gezogenen Lenkererenden wird der MTB-Lenker jedoch recht bequem. Der Hornzugriff macht sich überdies wg. der Möglichkeit des kräftigen Lenkerziehens bei Steigungen, bes. im > Wiegetritt angenehm bemerkbar. Anmerkung: Alle Ausführungen des MTB-Lenkers finden auch beim > Trekkingrad Anwendung. Rennlenker Dieser aus einem geraden Mittelteil heraus rechts und links im Bogen nach vorne-unten verlaufende Lenker ermöglicht nicht nur bei hohem Tempo eine aerodynamisch günstige > Sitzposition sondern bietet generell ergonomische Vorteile aufgrund seiner Variabilität mit 5 Griffpositionen: Der Rennlenker kann oben am geraden Stück gegriffen werden (ermöglicht annähernd 45-Grad-Haltung), auf der nach vorn weisenden Partie, noch weiter vorn auf den Bremsgriffen, im Bogen und schließlich am Lenkerende. M.a.W.: Die Fahrhaltung läßt sich je nach Rennsituation von halbwegs aufrecht, entspannt und umsichtig bis zu kraftvoller und aerodynamisch optimaler "Tieflage" variieren. Der Reiseradler wiederum schätzt diesen Lenker, weil er Ermüdungserscheinungen durch Wechsel der Handhaltung begegnen kann (s. > Reiserad). Die ersten drei der folgenden Lenkertypen sind nach Radsportcracks der 60er und 70er Jahre benannt, weil sie die betreffende Lenkerform jeweils bebvorzugten: "Merckx": Eckige Formgebung beim Lenker des "Kanibalen", die eine größere Griffbreite am Oberlenker ermöglicht (Bergauffahren) "Gimondi": Oben enger eingezogener Lenkerbogen, der einen ungestörteren Zugriff zum Lenkerunterteil ermöglicht (Wiegetritt, Spurt, Zeitfahren). "Poulidour": Das Bogenoberteil fällt flacher und gerader zu den Bremsgriffen ab, wodurch die Bremsgriffhaltung angenehmer wird. "Specialized": Speziell für > Mountainbike und > Trekkingrad konzipierter Rennlenker der Fa. Specialized, dessen Enden unten weiter nach außen gezogen sind zwecks besserem Zugriff zum Lenkerbogen und Ausübung größerer Lenkkräfte. "Randonneur": Im horizontalen Abschnitt außen leicht nach oben geschwungener Rennlenker fürs > Reiserad, der eine etwas aufrechtere > Sitzposition erlaubt (die Bez. kommt von Frz. "langer Ausflug"). Einen Ähnlichen Effekt bietet der nach hinten versetzte Lenker "Grand Fondo" von Modolo. "Anatomic": Gerade Teile im Lenkerbogen lassen eine entspanntere Handhaltung zu, da sich die Innenhand nicht durchdrückt. "Scott": Vom unteren Bogen aus noch einmal nach innen gezogene Lenkerenden. Das ergibt eine zusätzliche Griffposition fürs Bergauffahren und Sicherheitsvorteile, da kein hervorstehendes Lenkerende. Bekannt wurde dieser Lenker durch Greg Lemond bei seinem 8-Sekunden-Tour-de-France-Sieg 1990. "Bahnlenker": Auch "Pista" genannter, noch tiefer nach unten ausgestellter Lenker für > Bahnwettberbe, der eine noch aerodynamischere Oberkörperhaltung ermöglicht. Zeitfahrlenker Beim > Zeitfahren kommt es auf Haltungsdisziplin an, denn jede Abweichung aus der aerodynamisch günstigsten Haltung bedeutet höheren > Luftwiderstand u.d.h. Zeitverlust. Aus diesem Grund sind Zeitfahrlenker nur für eine bevorzugte Handhaltung ausgelegt. Hörnchenlenker: Dieser seit Anfang der 80er Jahre v.a. an Zeitfahrmaschinen eingesetzte Lenker ist tiefer montiert als herkömmliche Rennlenker und hat statt des nach unten gerichteten Bogens nach vorne weisende, am Ende leicht hochgebogene Lenkerenden (daher auch "Büffelhorn"). Dadurch wird eine aerodynamisch noch günstigere Fahrhaltung ermöglicht. Als "Hauptlenker" fast völlig vom Tria-Lenker verdrängt, wird der Hörnchenlenker allerdings für diesen i.d.R. noch als Unterlenker genutzt. Tria-Lenker: Von der Fa. > Scott patentierter Lenkeraufsatz, der die Einnahme der besonders aerodynamischen > American Position erlaubt. Weitere Einzelheiten s. > Tria-Lenker. Obree-Lenker: Nach dem Tüftler und Ex-Stundenweltrekordler Graham Obree benannter Stummellenker, der die aerodynamische, aber unbequeme > Obree-Haltung ermöglicht. Hochauflieger: Bereits mehrfach 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta eingesetzter Lenker, der die momentan offenbar aerodynamischste Fahrhaltung gestattet (aber: schwieriges Steuerverhalten des Fahrrades), mit dem Boardman im September 1996 den > Stundenweltrekord über die 56-km-Marke schraubte. BMX-Lenker Bis 74 cm breiter, weit nach oben gezogener Lenker fürs > BMX-Rad. Wegen des extremen Hebelarms ist i.d.R. zwischen den Holmen des Lenkerbügels ein Verbindungsstück eingeschweißt. Kunstfahr-Lenker ähnlich wie Rennlenker, nur andersherum montiert, mit aufwärts geschwungenem Bogen bei zum Fahrer weisenden Lenkerenden. Dies erleichtert das aufrechte Fahren, einhändige Steuerung und rasches Hochreißen des Vorderrades, außerdem läßt es sich gut rückwärts zwischen den "Geweihenden" sitzen, vgl. > Kunstradfahren. Radball-Lenker Nach vorne hochgezogener Lenker für > Radball. Mit ihm läßt sich gut im Stehen fahren sowie das Vorderrad hochreißen. Büffellenker Von Jörgen Erichsen konzipierter "Sicherheitslenker", bei dem gewissermaßen die beiden Bögen eines Rennlenkers geschlossen wurden, indem die Lenkerenden verlängert und nach oben zum Querteil hin gezogen wurden. Dadurch werden die bei Sturz verletzungsträchtigen, freistehenden Lenkerenden vermieden. Als Nebeneffekt werden noch weitere Griffpositionen ermöglicht. Kombi-Lenker Vereinzelt wird der Lenker auch als Einheit mit dem Vorbau gefertigt. Beispiele: 1. Der verstellbare Lenkervorbau von Cinetica, Mailand; 2. Lenker/Vorbau-Kombi von Point, bei dem die rechts und links vom Vorbau abgehenden Klemmstummel wahlweise mit Rennlenkerenden oder MTB-Lenkerenden bestückt werden können. Desweiteren ergibt sich bei diesem Lenker per Klemmverstellung eine einfache Breitenvarianz. 3. Aus Gewichtsgründen werden bisweilen auch - wie früher generell üblich - Lenker und > Vorbau als Einheit hergestellt (Leichtbau-MTB-Lenke). Lenkermaße & -gewichte Für die Montage des Lenkers im > Vorbau sowie die Fixierung von > Bremsgriffen und > Schalthebeln sind innerhalb geringer Toleranzen übereinstimmende Außendurchmesser erforderlich. Die Lenkerbreite richtet sich innerhalb des von der > DIN 79 100 vorgeschriebenen Rahmens (Mindestbreite 350 mm; Höchstbreite 700 mm) nach individuellen Präferenzen, das Gewicht ist bauart- und materialbedingt. Tabelle: Lenkermaße & -gewichte Lenkertyp Material Außendurchmesser in mm Lenkerbreite in mm Gewicht in Gramm L.-mitte L.-ende Standard Stahl 25,2-25,5 22 450-570 550-800 MTB Alu/Titan/Carbon 22-25,4* 22 500-700 100-450 Renn/Carbon Stahl/Alu 26-26,4 23,8-24 380-440 180-600 Hörnchen Alu/Carb. 26-26,4 23,8-24 400-440 180-300 Tria Alu 23,8-24 23,8-24 150-400 220-800 Obree Alu 26-26,4 23,8-24 300-350 150-250 BMX Stahl/Alu 25,2-25,5 22 550-740 450-950 Büffel Alu 26-26,4 23,8-24 400-450 350-450 Materialien Bis Mitte der 30er Jahre wurden Rennlenker aus Holz gefertigt (gute Dämpfungseigenschaften des Naturprodukts, s. > Holzfahrrad: Lenker). Standardlenker werden heute i.d.R. aus geschweißtem und verchromtem Stahlrohr hergestellt, z.T. aber auch schon aus etwas dickwandigeren Aluminiumrohren. Rennlenker werden aus nahtlosen Rohren hochwertiger Aluminiumlegierungen gezogen, vereinzelt kommt auch schon > Carbon zur Anwendung (Kleinserie von Stefan Schmolke), vgl. > Carbonteile: Lenker. MTB-Lenker werden im Zuge der Leichtbaubestrebungen außer aus Aluminium und Carbon auch aus > Titan gefertigt (bei Rennlenker wegen der kräftigen Biegungen nicht sinnvoll da Gefahr von > ÜberstreckungStichwort), womit die 100 g-Schwelle bereits unterschritten wurde. zur Sicherheit Lenkerenden können bei einem Fahrradunfall schwere Verletzungen hervorrufen und sollten deswegen stets mit einem möglichst voluminösen Stopfen bzw. Lenkergriff verschlossen sein, besser noch ist ein in sich geschlossener Lenker (z.B. Tourenrennlenker von Erichsen oder Triathlon/MTB-Lenker von 3TTT). Weitere Informationen s. unter allen mit > Lenker beginnenden Stichwörtern sowie > Vorbau.
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Dipl.Ing.FH Jörg Bucher zuletzt am 18.05.2000