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Online-Glossar Velotechnik von Christian Smolik

RAHMENBAU

Einen Satz Rohre zu einem Rahmen zu fügen ist an sich keine Hexerei. Die Kunst
liegt darin, einen Rohrverbund herzustellen, der sowohl leicht, dabei stabil und
auch komfortabel ist. Dazu ist der durchdachte Einsatz der jeweiligen >
Rahmenwerkstoffe gemäß ihrer spezifischen Eigenschaften mit Rücksicht auf
typische > Rahmenbelastungen notwendig.

Unerwartete Erfahrungen in dieser Hinsicht machten zur Zeit des >
Mountainbike-Booms einige vom Motorradbau kommende "Seiteneinsteiger" in den
Fahrradbau. Ihre Rahmen brachen überdurchschnittlich häufig, da sie unterschätzt
hatten, welch hohe Kräfte auf einen Fahrradrahmen einwirken, v.a., wenn
trittstarke Sportler ihn traktieren, s. > Rahmenbelastung.

        Materialien
Wie unter > Rahmen: Materialien ausgeführt, war > Stahlrohr fast ein Jahrhundert
lang der absolut dominierende Werkstoff im Fahrradrahmenbau. Mittlerweile haben
Rohre aus Aluminium, aber auch Titan oder Carbon an Bedeutung gewonnen.

Vorläufige Krönung des Rahmenbaus ist die > Faserverbundbauweise mit Abkehr vom
Rundrohrkonzept. Einzelheiten zu Fragen der > Rahmenwerkstoffe s.d. und
insbesondere unter
> Stahlrohr-Rahmen;
> Aluminium-Rahmen;
> Carbon-Rahmen;
s. außerdem: > Titan, > MMC (> M 2; > Boralyn), > Beryllium.

        Bauweisen
Heute erfolgt das Fügen der einzelnen Rahmenelemente zum fertigen Rahmen
überwiegend in großtechnischen Anlagen per "Lötkarusell" oder durch
Roboterschweißung.

Diese Rahmen besitzen durchschnittliche > Rahmengeometrie, ein
durchschnittliches > Fahrverhalten und können weitgehend mittels > Vorbau, >
Lenker, > Sattelstütze und > Sattel an die individuellen Anforderungen des
jeweiligen Radlers angepaßt werden.

Wer einen ganz persönlichen Rahmen fahren möchte, wendet sich an einen >
Rahmenbauer, also einen Kleinbetrieb, der einen Rahmen hinsichtlich Rohrqualität
und > Rahmengeometrie individuell abstimmen kann. Vor allem sehr kleine oder
große Fahrer, die mit Rahmen "von der Stange" nicht zurecht kommen, finden hier
eine Lösung.

Grundsätzlich ist zu unterscheiden, ob - von Faserverbundbauweise einmal
abgesehen - die Rohre mit oder ohne > Muffen zusammengefügt werden, daher gibt
es:

* gemuffte Rahmen
* muffenlose Rahmen
        gemuffte Rahmen
Das Fügen der Rahmenrohre in > Muffen ist bis heute die gebräuchlichste
Rahmenbauweise.

Vorteile: relativ rationelle Fertigung, hohe Haltbarkeit der Verbindungsstellen;
Nachteile: Für jede Rahmengröße und teilweise sogar für jede Geometrieänderung
sind separate Muffen nötig, da die Winkelstellung der Muffen auf +/- 0,5 Grad
mit der Geometrie, mit der die Rohre aneinanderstoßen, übereinstimmen muß.

Um Rohre und Muffen zu verbinden, werden diese entweder
* gelötet oder
* geklebt
                gelötet
Die klassische Fixiertechnik ist das > Löten der Rohre an die Muffen:

* Die Rohre werden an ihren Verbindungsstellen in Muffen gefaßt,
* von einer Haltevorrichtung in der vorgesehenen Winkelstellung fixiert und
* per > Hartlötung verbunden.

Dazu müssen die Metalloberflächen metallisch blank sein, was durch Schmirgeln,
Sandstrahlen oder Beizen im Säurebad erreicht wird. Ein > Flußmittel sorgt
dafür, daß der Luftsauerstoff keine störenden Oxydschichten auf der
Metalloberfläche erzeugt.

Probleme treten bei der Muffenlötung auf, wenn mit hoher Löttemperatur (>
Messinglot) unter Spannung gelötet wird. Dann kann es nämlich zu Rißbildung
infolge von Härtungserscheinungen oder dem Eindringen von Kupfer- und
Zinkanteilen des > Lotes in das Rohrgefüge kommen, s.a. > Lötfehler.

Die vorgesehenen > Anlötteile werden nun an den Rahmen gelötet, abschließend
werden Flußmittelreste entfernt (Sandstrahlen oder Säurebad), der Rahmen
gegebenenfalls noch etwas gerichtet und dann lackiert.

                geklebt
Auch hier werden die Rohre per Muffen gefügt, die Verbindung von Rohr und Muffe
erfolgt jedoch mit > Zweikomponentenkleber.

Vorteil: Keine Wärmebelastung der Rohre, die so ihre volle Festigkeit behalten.

Zum Kleben eignen sich zwar alle Rohrtypen und -materialien, das Verfahren wird
jedoch besonders mit Rohren aus > Aluminium, > Carbon oder > Titan durchgeführt.

Die Muffen sind bei Klebetechnik aus Aluminiumdruckguß (s. > Aluminium:

Gußtechniken) oder geschmiedetem Aluminium, bei Verwendung moderner Carbonrohre
z.T. auch aus Carbon gewickelt (vgl. > Carbon: Herstellungsverfahren).

Obwohl die modernen Kleber in puncto Festigkeit erheblich zugelegt haben, muß
verglichen mit einer Lötverbindung eine größere Kontaktfläche zwischen Muffe und
Rohr zur Verfügung stehen. Das ist i.d.R. gegeben, wenn die Muffenlänge um den
Faktor 1,5 länger ist als der Durchmesser. Vgl. hierzu auch: Klebetechniken der
Titanal-Alurahmen.

Ein Zahlenbeispiel verdeutlicht den Zusammenhang:

Bei einem Rohrdurchmesser von 30 mm und einer Muffenlänge von 45 mm ergibt sich
eine Kontaktfläche von 30 x Pi x 45 = 4.241 mm². Multipliziert mit einer
mittleren > Festigkeit des Klebers von 40 N/mm² erreicht man eine
Verbindungsfestigkeit von rund 170.000 N, was einer Gewichtsbelastung von 17 t
standhalten würde.

Die Belastung wird in der Praxis durch leichte Preßpassung zwischen Rohr und
Muffe sogar noch gesteigert und übertrifft auf jeden Fall die Festigkeiten der
Rohre selbst (ein Stahlrohr von 30 mm Durchmesser, 0,6 mm Wandstärke und einer
Festigkeit von 850 N/mm² besitzt eine Querschnittsfläche von 30 x 0,6 x Pi = 56
N/mm² und hält entsprechend 56 x 850 = 48.000 N Zugbelastung aus. Weitere
Einzelheiten s. > Klebetechniken.

Geklebte Rahmen bedürfen keiner Nachbehandlung, sie werden lediglich entfettet
und lackiert.

        muffenlose Rahmen
Um Zwang und Lasten der zahlreichen Muffen auszuweichen, werden mittlerweile
Fahrradrahmen auch ohne die haltenden Muffen gebaut, wobei z.T. sogar
Stabilitätsgewinne zu verzeichnen sind.

                gelötet
Die an ihren Enden paßgenau geschnittenen Rohre stoßen stumpf aneinander oder
werden nach vorheriger Ausfräsung des Gegenrohres durchgesteckt und werden mit
einem hochfesten Lot, meist > Nickellot gefügt (statt Messing- oder Silberlot
bei gemufftem Rahmenbau).

Der Nachteil der höheren Löttemperatur des Nickellots wird durch seine kürzere
Erwärmzeit ausgeglichen:

Während eine Muffe etwa 2-4 Min. auf > Arbeitstemperatur des Lotes (>
Messinglot: rund 900° C) gehalten werden muß, damit das Lot in dieser Zeit in
den Muffenspalt eingebracht und verteilt werden kann, sind es beim muffenlosen
Löten nur einige Sekunden, da punktuell gelötet wird (> Nickellot:

Arbeitstemperatur 950° C, mit Silberzusatz Absenkung bis 750° C möglich, s. >
Silber-Nickelot). Das vermeidet > Grobkornbildung und > Lötfehler.

Die Haltbarkeit solchermaßen gefügter Rahmen ist gut, da das Nickellot oftmals
in seiner Festigkeit sogar das Rohrmaterial übertrift.  Probleme bereiten
allenfalls die Nacharbeitungen, wenn beispielsweise beim Glätten der Lötnaht ein
Rohr angekerbt wird und dadurch eine Schwachstelle entsteht (vgl. >
Kerbwirkung). Aus diesem Grund sollte man bei muffenlosen Rahmen stets auf >
endverstärkte Rohre achten. Die sonstige Nachbehandlung entspricht der von
muffengelöteten Rahmen.

                geschweißt
Ebenfalls stumpf aneinander gefügt werden Rohre per > WIG- oder >
MIG-Schweißung.

Obwohl Schweißen sicher nicht materialschonender ist als Löten, liegt die
Rahmenbruchrate weit unter der gemuffter Rahemn. Ursache: Es werden beim
Schweißen weniger Fehler gemacht, vor allem haben Spannungen innerhalb der Rohre
und Fügestellen nicht so gravierende Auswirkungen wie beim > Hartlöten (s. >
Lötrisse).

        einteilige Rahmen (aus Carbon)
Die Eigenschaften des > Faserverbundwerkstoffs > Carbon lassen sich im Rahmenbau
am besten nutzen, wenn man von der herkömmlichen Rundrohrbauweise abgeht.

V.a. die Möglichkeit, ganze Rahmen in einem Stück als Hohlkörper zu formen (>
Monocoque, von frz. coque "Schale") hat dem Rahmenbau völlig neue Perspektiven
eröffnet, man denke an den > Einschwingenrahmen (z.B. > Lotus). Bei diesem
Verfahren werden vorgeschnittene Carbon-Matten in die einzelnen Teilen einer
mehrteiligen Form gelegt, mit Harz getränkt und ggf. durch einzeln gelegte
Carbonfasern verstärkt.

Nach dem Schließen der Form wird überschüssiges Harz herausgepreßt und durch
Erhitzen (> Tempern) die Festigkeit des Harzes noch gesteigert, zudem wird
hierbei die Hitzeformbeständigkeit erhöht. Weitere Einzelheiten s. > Carbon:

Herstellungsverfahren und > Carbon-Rahmen.

Entscheidend bei dieser modernen Rahmenbauweise ist die Formgebung (s. >
Carbon-Rahmenformen): Durch sie lassen sich leichte Rahmengewichte bis hinunter
zu 1 kg realisieren (ohne Gabel).

Ein > Diamantrahmen aus > Carbon-Rohren ist übrigens weniger sinnvoll als die
Monocoque-Bauweise, hat aber im Vergleich zu Stahlrahmen Gewichts- und
Steifigkeitsvorteile.

        Holzrahmen
Umweltbelange (wie entsorgt man einen Carbonrahmen) und Parallelitäten zu den >
Faserverbundwerkstoffen führten in den letzten Jahren gelegentlich zur
Wiederbelebung des Holzrahmenbaus, vgl. > Holzfahrrad).

Eine kompakte, > kreuzrahmenartige Formgebung sowie das Aufbringen in ihrer
Faserrichtung verschieden orientierter Furniere führen rein formal zu einem dem
Carbon-Monocoque verwandten Äußeren, dem jedoch i.d.R. kein Hohl- sondern ein
Vollkörper zu Grunde liegt.

Bei hinlänglicher > Seitensteifigkeit überzeugt der > Fahrkomfort dieser
Holzkonstruktion, deren Rahmengewicht (ca. 3 kg) erträglich und mit
Standardstahlrahmen vergleichbar ist.

vgl. auch > Maßrahmen.



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Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH
Christian Smolik 18.05.2000
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH
Jörg Bucher zuletzt am 18.05.2000