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Online-Glossar Velotechnik von Christian Smolik

ROHRHERSTELLUNG

Nachdem der Rahmen des > Hochrades noch als Volleisenkonstruktion ausgeführt
war, fiel das Aufkommen des > Niederrades mit der Entwicklung großtechnischer
Herstellungsverfahren von > Stahlrohren zusammen. Damit wurden Fahrräder zur
gleichen Zeit nicht nur leichter und sicherer, sondern v.a. auch wesentlich
preiswerter, was ihnen zum Durchbruch als erstem Massenverkehrsmittel verhalf.

Zum Herstellen der im Fahrradbau verwendeten dünnwandigen Rohre gibt es je nach
Werkstoff unterschiedliche Verfahren:

        Stahlrohre Schrägwalzverfahren
Weißglühende Stahlzylinder werden von zwei mit gleicher Umdrehungsrichtung
rotierenden Walzen im Kern mürbe gewalzt und von einem dort eingedrückten Dorn
zunächst zu einem dickwandigen, kurzen Rohr (vorstellbar wie ein hohler
Baumstamm) aufgeweitet.

Dieses "Schrägwalzverfahren" der Gebrüder > Mannesmann (patentiert 1885)
ermöglichte erstmalig die großtechnische Herstellung nahtloser Rohre und wird
noch heute angewandt.

                Pilgerschrittverfahren
In einem nachfolgenden "Pilgeschritt"-Walzverfahren wird das Rohr dünner und
länger ausgeschmiedet (Patent ebenfalls Gebr. Mannesmann, 1888):

                Reduzierwalzen
Das immer noch recht dickwandige Rohr wird durch sog. "Reduzierwalzen" noch
länger und dünner ausgewalzt.

Alle vorgenannten Verfahrensschritte werden übrigens mit "einer Hitze", also
ohne nachträgliche Erwärmung der Rohre ausgeführt.

                Kaltziehen
Nun erfolgt die Abkühlung und mehrere "Kaltzüge" durch sog. "Ziehsteine",
teilweise auch über Stopfen zum > Kalibrieren des Innendurchmessers, mit denen
das Rohr auf die gewünschten Abmessungen gebracht wird, s.a. > Kaltverfestigung.

Damit ist das Rohr zunächst fertig und kann vergütet, abgelängt und zu Rahmen
verbaut werden.

                Endverstärkung
Für > endverstärkte Rohre folgt noch ein weiteres Kaltziehen über Dorne mit
unterschiedlichen Außendurchmessern.

                Konifizierung
Um > konifizierte Rohre (> Gabelbeine; > Unter- und > Sattelstreben)
herzustellen, werden die Rohre in Matritzen von umlaufenden Walzen im
Außendurchmesser dünner gehämmert, wobei allerdings die Rohrwandstärke zunimmt.

Die zweite Methode, Rohre zu konifizieren, besteht in einem speziellen
Kaltpilger-Walzverfahren über einen bereits konischen Dorn. Hierbei kann die
Durchmessereduzierung ohne oder mit gezielter Wandstärkenverdickung erfolgen.

        Aluminium-Rohre
Nahtlose Aluminium-Rohre werden im allgemeinen durch > Strangpressen
hergestellt. Dazu wird ein Aluminium-Zylinder auf Lösungstemperatur erwärmt
(490-520° C) und auf einer großen Presse (Preßkraft mehrere tausend Tonnen
Druck!) durch eine Matritze gepreßt, die einen Ringspalt besitzt.

Das so hergestellte Rohr entspricht in seinen Abmessungen dem Stahlrohr nach dem
Reduzierwalzen und wird mit einem der Stahlrohrherstellung analogen
Ziehverfahren auf die gewünschte Abmessung gebracht. Auch das nachfolgende
Verfahren zur Herstellung von endverstärkten oder konifizierten Rohren gleicht
dem der Stahlrohr-Herstellung.

        geschweißte Rohre
Gewalzte Bleche aus Stahl oder Aluminium werden zu einem Rohr gebogen und an der
Stoßstelle verschweißt. Großtechnisch kommt hier das Unterpulver-, Widerstands-
oder Hochfrequenzschweißen zum Einsatz, s. > Schweißverfahren. Mit dem
Hochfrequenzverfahren werden übrigens auch die > Titanal-Aluminiumrohre
verschweißt.

Bei Stahlrohren folgen meist noch mehrere Kaltzüge, so daß die eigentliche >
Schweißnaht nur noch metallurgisch (mikroskopische Betrachtung von angeätzten
Schnittflächen) auszumachen ist.

Die Qualität von geschweißten Rohren steht der von nahtlos hergestellten
hinsichtlich > Festigkeit und > Dauerschwingbelastung kaum noch nach, sie finden
aber bislang nur Einsatz bei preisgünstigen Fahrradrahmen.

        Carbon-Rohre
Rohre aus dem > Faserverbundwerkstoff > Carbon konnten ursprünglich nur manuell
gefertigt werden, mittlerweile ist auch maschinelle Fertigung möglich, wobei das
Rohr sogar noch präziser auf die vorgesehene Belastung hin ausgelegt werden
kann:

                manuell
Mit Harz getränkte Carbon-Matten werden von Hand um einen Aluminiumkern
gewickelt (Faserverlauf bei Rahmenrohren v.a. in 0/90°- und 45°-Lagen und von
einem Carbonstrumpf abgedeckt.

                maschinell
Mit Harz getränkte Carbonfäden werden von einem Automaten  unter verschiedenem
Steigungswinkel um einen Aluminiumkern gewickelt (vorrangig bei Rahmenrohren:

parallel und unter 45° zur Längsachse um speziell auf > Biege- und >
Torsionskräfte hin ausgelegt zu sein) und von einem Carbonstrumpf abgedeckt.

Es folgen - wie übrigens auch bei der manuellen Fertigung - das Aushärten des
Harzes und > Tempern, wobei sich der Aluminiumkern (anderes
Wärme-Ausdehnungsverhalten) nach dem Erkalten herausziehen läßt - fertig ist das
Rohr.

Einzelheiten zu den Verfahren s. > Carbon-Rohre.

        Titanrohre
Titanrohre werden im Prinzip wie Stahlrohre hergestellt, wobei jedoch bei
dünnwandigen Teilen das Rekristallisieren unter > Schutzgas erfolgen muß, da
sonst Luftsauerstoff und Luftstickstoff ins Materialgefüge eindiffundieren und
den Werkstoff verspröden würden. Aus gleichem Grund wird bei dickwandigen
Walzteilen die Äußere Zunderschicht abgebeitzt oder mechanisch entfernt.



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Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH
Christian Smolik 18.05.2000
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH
Jörg Bucher zuletzt am 18.05.2000