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Online-Glossar Velotechnik von Christian Smolik

SATTEL

Hintere Kontaktpunkt des Radlers mit seinem Gefährt. Er sollte einen gewissen
Fahrkomfort gewähren und zugleich etwas seitlichen Halt. Nicht umsonst heißt es
nämlich in Radsportlerkreisen: "Der Hintern lenkt mit".

        Aufbau
> Sattelgestell, über das eine Satteldecke gespannt wird . Material und
Verwendungszweck haben im Laufe der Fahrradgeschichte zur Entwicklung
verschiedener Satteltypen geführt (z.B. Polsterung oder Federung):

        Kernledersattel
Satteltyp, bei dem die Satteldecke aus Kernleder besteht, das mittels
Spannvorrichtung nachgespannt werden kann (Kernleder: Leder, das aus den
besonders dicken und kompakten Hautschichten des Rückenbereichs der Tiere
gefertigt ist). Manko ist das Präparieren und Nachspannen dieser Naturprodukte,
s.u.

Diese Sättel waren sehr schwer (bis 800 gr.; vgl. dagegen weiter unten
Swift-Kernledersattel: 380 gr.). Das Naturprodukt Leder besitzt jedoch eine gute
Anpaßbarkeit an die körperlichen Gegebenheiten (Po-Form), so daß sie nach wie
vor unübertroffenen Sitzkomfort bieten und z.B. von Reiseradlern gern benutzt
werden. Die Satteldecke macht darüberhinaus die Trittbewegung des Radlers gut
mit, was ein Wundreiben verhindert.

Wie wichtig der Sattel bei den vielfahrenden Radprofis seit jeher war, zeigte
das einst geflügelte Radlerwort "Nimm Deinen Sattel und geh'" wenn ein Profi
gefeuert wurde: Das Rad wurde nämlich vom Rennstall gestellt, seinen Sattel aber
brachte jeder Fahrer selber mit und hegte und pflegte ihn.

                Präparieren
Die fachgerechte Vorbereitung eines Kernledersattels für seine "tragende Rolle"
ist recht aufwendig:

1. Von unten einfetten (teures Spezialfett der Hersteller oder preiswertes
Sattelfett von Reitern);
2. 30 Minuten im Backofen bei 50° Grad "garen" damit das Fett flüssig wird und
leichter einzieht,
3. beide vorgenannte Schritte wiederholen;
4. Satteldecke durchwalken: entweder mit kräftigem Handballendruck oder mit
einem lappenumwickelten Hammer.

5. Sattel "einreiten": Die erste Ausfahrt sollte nur 30 km dauern. Dann 3 Tage
Pause einlegen (Gefahr einer schmerzhaften Sitzknochenhautreizung); dann
Kilometerzahl steigern mit zwei und dann einem Tag Pause, bis Sattel nach rund
500 km eingeritten ist.

                Nachspannen
Das edle Naturmaterial gibt im Laufe der Zeit nach, weswegen ein solcher Sattel
hin und wieder vorsichtig nachgespannt werden muß, was mit der Nachspannmutter
unter der Sattelnase mittels Spezialschlüssel erfolgt.

Interessant ist der "Swift"-Kernledersattel von Brooks, der einen kompletten
Titan-Unterbau besitzt (Gestell, Nachspannvorrichtung, Beschläge) und nur noch
380 gr. wiegt.

                Regenschutz
Ein Nachteil des Ledersattels ist sicher, daß er vor Regen, aber auch vor zu
viel Sonne geschützt werden muß. Daher die berühmte Plastiktüte unter diesen
Sätteln.

        Kunststoffsättel
In der 70er Jahren wurden die Kernledersättel mehr und mehr von den leichteren
und pflegeleichteren Kunststoffsätteln abgelöst.

Auch hier trägt wieder im Normalfall ein Stahlgestell, über das eine steife
Kunststoffdecke gezogen ist. Die Decke wird zusätzlich mit einer
Schaumgummiauflage gepolstert und erhält noch einen Überzug aus dünnem Leder
oder Stoff.

Der Schaum soll den Federkomfort des Kernleders übernehmen, wodurch der Sattel
sich immer an die "individuellen Gegebenheiten" anpassen kann: Das langwierige
und oft auch schmerzhafte Einreiten entfällt. Im Vergleich zu einem
Kernledersattel macht die Polsterung jedoch die durch das Treten entstehende
Bewegung nicht homogen mit, es kommt schneller zum Wundreiben.

        Gel-Sättel
Versuche, die individuelle Anpaßbarkeit des Sattels mittels einer im Schaum
eingelassenen gelartigen Schicht zu verbessern, werden nicht von allen
Radfahrern begrüßt, da diese Sättel mit zunehmender Fahrzeit doch zu drücken
beginnen. Bei Billigsätteln kommt es häufig vor, daß das Gel mit der Zeit
aushärtet und der Sattel damit zum Folterinstrument wird.

        Rennsättel
Rennfahrer bevorzugen einen langen und schmaleren Sattel, damit die Tretbewegung
nicht vom Sattel behindert wird und sie je nach Fahrsituation im Sattel vor- und
zurückrutschen können.

Die Beckenknochen müssen aber noch Platz auf dem Sattel bekommen, sonst sind
Sitzbeschwerden vorprogrammiert. Typische Rennsättel sind der "Rolls" (Selle San
Marco),  und der "Turbo" (Selle Italia).

Dem Rennfahrer reicht übrigens ein weniger gepolsterter Sattel, da die Sportler
mit mehr Pedaldruck fahren, weiter nach vorne gebeugt sind und so ohnehin mit
weniger Last auf dem Sattel sitzen. Ferner verlassen Rennfahrer bei Antritten,
kurzen Steigungen oder Bodenwellen ohnehin häufiger den Sattel und gönnen sich
so Sitzpausen.

                Trendsättel
1990 läutete Selle Italia mit dem "Flite" eine neue Sattelära ein: Mit
Titangestell und seitlich weit ausgeschnittenem Kunststoffkörper sowie sparsamer
Polsterung wog dieser Sattel nur noch knapp 200 g. Auch hier kann die
Satteldecke leicht mitgehen, vermeidet also ganz gut das Wundreiben und bietet
obendrein mehr Fahrkomfort, Andere Sattelhersteller zogen nach und heute ist der
Markt schier unübersichtlich geworden durch Sattelgestelle aus Chromo-Rohr und
Carbon sowie mit exotischer Formgebung.

        Damensättel
Der weiblichen Anatomie angepaßte Sättel: hinten breiter, in der Länge kürzer,
wie der "Anatomica"). Bisweilen sind Damensättel noch im Dammbereich mit einer
Mulde versehen (s.a. den weiter unten beschriebenen geteilten Sattel).

Diese Sättel finden jedoch nur bei Freizeitradlerinnen Gefallen. Rennfahrerinnen
und Mountainbikerinnen bevorzugen den langen Männersattel, um sich wie die
männlichen Kollegen je nach Fahrsituation im Sattel besser vor- oder zurück
setzen zu können. Durch ihren guten Trainingszustand besitzen sie außerdem einen
hohen Pedaldruck, so daß sie weit seltener unter Sitzbeschwerden leiden als die
weniger sportlich radelnden Frauen.

        gefederte Sättel
Wegen der früher schlechten Straßen wurde schon zu Velo-Urzeiten der Sattel
gefedert. Hierbei wurden wie heute noch üblich zwischen Satteldecke und Gestell
Schraubenfedern eingebracht, die Federwege von 3-7 cm ermöglichten. So gesehen
stellt der Sattel die einfachste Möglichkeit einer passiven > Fahrradfederung
dar.

Darüberhinaus kann ein gefederter Sattel v.a. bei denjenigen Fahrern von Nutzen
sein, die bei jedem Tritt im Becken kippen: Während diese Fahrer sich beim
Normalsattel den Hintern schnell wundreiben, macht ein gefederter Sattel diese
Kippbewegung mit und vermeidet das Wundreiben. Ein zu weich gefederter Sattel
hat allerdings den Nachteil, daß er v.a. bei höheren Trittfrequenzen anfängt auf
und ab zu wippen.

        Sonderbauweisen
Für bestimmte Fahrradtypen oder spezielle Anwenderbedürfnisse werden bestimmte
Sondersättel angeboten:

                geteilter Sattel
Von Selle Bassano unter dem Modellnamen "Modular" vertriebener Sattel mit
geteiltem Oberteil. Die beiden Hälften lassen sich über eine Spannschraube bis
zu 25 mm auseinanderstellen, was eine variierbare Aussparung im Dammbereich
ergibt. Nutzen von diesem Sattel haben v.a. Radfahrer mit Empfindlichkeiten im
Dammbereich.

                Bananensattel
Langer Sattel mit einer mehr oder weniger hochgezogenen Sattellehne. Der
Bananensattel kam als Modeerscheinung mit den > High-Risern für Kinder seit
Mitte der 60er Jahre auf den Markt. Der Markterfolg war begrenzt, die Verwendung
des Sattels bei anderen Fahrradtypen erfolgte nicht.

                Kunstfahrsattel
Am > Kunstfahrrad eingesetzter Sattel mit muldenförmig vertiefter Sitzfläche, um
den Fahrern bei einigen Fahrfiguren und beim Freihändigfahren mehr Halt zu
gewähren.

In Ähnlicher Ausführung wird der Kunstfahrsattel auch beim > Einrad gefahren.

                Radballsattel
#  Helmut Walter OF fragen
                Luftpolsterung
Verschiedentlich wurde versucht, Sitzprobleme mit Luftpolsterung des Sattels zu
lösen. Zur Serienreife gelangte 1992 der luftgepolsterte Sattel von >
Campagnolo, bei dem zwischen Kunststoffkörper und Satteldecke ein im Luftdruck
variierbarer Gummiformkörper eingebracht war, der inzwischen aber nicht mehr
hergestellt wird.



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Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH
Christian Smolik 18.05.2000
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH
Jörg Bucher zuletzt am 18.05.2000