Online-Glossar Velotechnik von Christian Smolik |
Körperhaltung auf dem Fahrrad. Sie wird durch die Einstellung der Kontaktstellen des Radlers mit seinem Rad herbeigeführt, also der Positionierung von Sattel und Lenker in Relation zum > Tretlager (Pedale). Die Sitzposition ist eines der heikelsten Kapitel des Radfahrens, insbes. beim Radsport. Es gilt, die biomechanischen Aspekte und die persönlichen motorischen Eigenheiten mit der Effizienz der jeweiligen Radnutzung zu koordinieren: Für den Alltags- und Gebrauchsradler spielt die Bequemlichkeit der Körperhaltung eine große Rolle, während bei der sportlichen Nutzung die Leistungorientierung im Vordergrund steht. Das Wissen um die "Geheimnisse" der Sitzposition ist Pflichtfach für Trainer, Radsportler, Rahmenbauer und Fahrradhersteller, wird aber bisweilen bis zur Schöngeisterei hochstilisiert: Bei allen ergonomischen Überlegungen darf nicht zu sehr verallgemeinert, sprich die Individualität des einzelnen Radfahrers außer acht gelassen werden. Die Sitzposition ist nämlich auch eine sehr individuelle Angelegenheit, deren Ideal nur in Zusammenarbeit von Fahrer und beobachtendem Betreuer erarbeitet werden kann. Als günstig haben sich - ausgehend von der im Radsport bewährten > Standardposition - individuelle Abweichungen nach Koordinationsveranlagung und nach sportlicher bzw. alltagsRadpfarrerischer Ausrichtung erwiesen. Im nachfolgenden sind die einzelnen Punkte der Standardposition im Einzelnen aufgeführt und Abweichungen davon begründet: Standardposition Vorbemerkung: Die Sattelstellung in Relation zum Tretlager bestimmt hauptsächlich die Einleitung der Kraft auf das Pedal, während die Lenkerstellung mehr der Bequemlichkeit des Aktivisten dient bzw. bei Wettkampfakteuren die Aerodynamik der Haltung bestimmt: Sattelhöhe Die Höhe des Sattels sollte so eingestellt sein, daß die Ferse des ausgestreckten Beins - wenn der Radler ohne Beckenkippen im Sattel sitzt - gerade das Pedal erreicht. Von diesem Standard ausgehend stellen folgende Radler den Sattel höher: 1. Radler mit Kniebeschwerden, da bei einem höher gesetzten Sattel das Bein beim Treten weniger stark einwinkelt; 2. Pedaleure, die mit niedriger Trittfrequenz "dickere" Gänge fahren, denn mit zunehmender Beinstreckung steigt die Kraftentfaltung. 3. Diejenigen, die ihre Trittkraft durch Kippbewegung im Becken unterstützen, also bei jedem Tritt ein bis zwei Zentimeter im Becken kippen. Folgende setzen den Sattel tiefer: 1. Radler mit hoher > Trittfrequenz, da ein zu weit durchgestrecktes Bein den Bewegungsfluß hemmt; 2. Große Personen auf einem zu kleinen Rahmen, die - um Sattelhöhe einzusparen -beim Trittablauf die Ferse absenken. 3. Mountainbiker, um ihren > Schwerpunkt abzusenken. Sattel-Zurücksetzung Ein von der Sattelspitze gefälltes Lot sollte etwa 1/10 der > Rahmenhöhe hinter der Tretlagermitte "pendeln". Weiter nach hinten (also zurück) setzen den Sattel: 1. Radler mit langen Oberschenkeln, da ansonsten die Knie zuweit über die Kurbel hinaus nach vorne orientiert sind, womit die Krafteinleitung ungünstig verlaufen würde; 2. solche, die "dicke" Gänge fahren, da es sich kraftvoller schiebend nach vorne als ziehend nach hinten treten läßt; 3. große Radfahrer, die sich auf zu kleine Rahmen "falten" müssen und unwillkürlich unter Punkt 1. fallen. Weiter nach vorne stellen den Sattel: 1. Radler mit hoher Trittfrequenz, um die dem Bewegungsfluß hinderliche Beinstreckung zu vermeiden; 2. Freizeitradler mit höher gestelltem Lenker, um per vorgegschobenem > Schwerpunkt ein günstigeres > Fahrverhalten des Fahrrades zu bewirken. Sattelneigung Die Satteloberfläche soll i.d.R. genau waagerecht stehen. Die Sattelspitze etwas nach unten neigen: 1. Radler mit tief gesetztem Lenker, damit ein leichtes Vorkippen des Beckens den Oberschenkeln mehr Platz vor der Brust verschafft; 2. Fahrer mit Druckbeschwerden im Bereich der Harnröhre, um so die Belastung mehr auf die Gesäßknochen zu verteilen. Nebenbei bemerkt, gleitet der Radler, wenn die Sattelspitze leicht abgesenkt ist, bei hohen Trittfrequenzen fast zwangsläufig nach vorne, kann sich jedoch am Berg günstiger am Sattel abstützen. Die Sattelspitze etwas nach oben neigen: 1. Radler mit hochgestelltem Lenker sowie einige Mountainbiker, um so eine bessere Sattelführung zu bekommen. 2. Personen mit Druckbeschwerden auf den Gesäßknochen, weil das Körpergewicht neben diesen dann auch den Dammbereich belastet. Lenker-vorsetzung Der Lenker sollte so weit vorgesetzt werden, daß er bei vor die Sattelspitze gehaltenem Ellenbogen von den ausgestreckten Fingerspitzen gerade berührt wird. Abweichungen: 1. Sportler verlängern diesen Abstand um 5-10 cm (Mountainbiker u.U. bis 20 cm), um sich flacher auf dem Velo ducken und folglich eine aerodynamischere Haltung einnehmen oder als Mountainbiker mehr Druck aufs Vorderrad ausüben zu können; 2. Von Rückenbeschwerden geplagte Radler verkürzen den Abstand, um bequemer, sprich aufrechter, radeln zu können. 3. Für Mountainbiker gilt durch den langen > Vorderbau aus Gründen optimaler Gewichtsverteilung: Das Lot vom Lenker aus sollte max. 15 cm hinter der Vorderradachse pendeln. Lenkerhöhe Die Höhe des Lenkers sollte dem Sattelniveau entsprechen. Abweichungen: 1. Sportliche Radler senken den Lenker bis zu 15 cm tiefer ab, um wieder aerodynamischer zu sitzen bzw. beim > Wiegetritt mehr Kraft aus dem Rückenbogen aufs Pedal zu "befördern"; Achtung Freizeitradler und Neueinsteiger: Wer diese tiefe Lenkerposition nicht beherrscht und daher mit gestrecktem Arm radelt, beeinträchtigt das Feingefühl beim Steuern. Außerdem werden Fahrbahnschläge ungedämpft in Schultergürtel und Kopf geleitet. 2. Gelegenheitsradler mit Rückenbeschwerden setzen den Lenker höher, um fortan müheloser, sprich beschwerdefreier, pedalieren zu können. Anmerkung: Werden die beiden letzten Punkte der Standardposition ohne Abweichung eingehalten, so ergibt sich automatisch die für Normalradler sinnvollste "45-Grad-Haltung" (Vorneigung des Oberkörpers). Rennlenker Die Lenkerenden sollten parallel zum Boden verlaufen. Abweichungen: 1. Lenkerenden leicht nach unten drehen: für Rennfahrer, die einen ergonomisch günstigeren Zugriff zum unteren Lenkerbogen erhalten wollen; 2. Lenkerenden leicht nach oben drehen: für Rennfahrer, die die Bremsgriffhaltung bevorzugen und diese aerodynamisch optimieren wollen. Anmerkung: Bedingt durch das Bestreben nach Minimierung des > Luftwiderstandes haben sich bei einigen Radsportdisziplinen Sondersitzhaltungen entwickelt. Hierzu gehören v.a. die aerodynamisch bes. günstige > Obree-Haltung und die > American Position. Darüberhinaus ist die halb sitzende oder gar liegende Position bei > Sessel- resp. > Liegerad zu nennen, außerdem die Besonderheiten beim > Kunstradfahren und > Radball, vgl. aber auch die vorwiegend stehende Fahrweise bei > BMX-Rennen und > Trail. Position & Fahrverhalten Mit seiner Sitzposition auf dem Fahrrad beeinflußt der Radler den > Schwerpunkt seines Fahrrades und damit auch dessen > Fahrverhalten: Das gleiche Rad kann, je nachdem, wie der jeweilige Pfarrer auf dem Fahrrad sitzt, völlig andere Fahreigenschaften bekommen. Die Ursachen: Vorder- und Hinterrad tragen das Gewicht von Rad und Fahrer. Nimmt dieser eine aufrechte Haltung ein und hat er den Sattel weit nach hinten geschoben, so trägt das Hinterrad nahezu die gesamte Fahrerlast. Folge: Das Vorderrad läßt sich "zu leicht" einschlagen, das Fahrrad neigt zum > Übersteuern, da die > Richtungskorrekturen mangels entsprechendem Schwenkwiderstand der Lenkung stets zu weit und zu schnell erfolgen. Sie müssen nun überhastet nachkorrigiert werden, das Fahrrad bekommt ein zittriges Fahrverhalten. Außerdem hält es mangels nötiger Vorderradbelastung nicht zuverlässig die Spur und bricht in Kurven seitlich aus. Umgekehrte Verhältnisse entstehen, wenn der Fahrer den Sattel weit nach vorn stellt und sich tief über den Lenker beugt: Das Vorderrad wird entschieden höher belastet und entsprechend erhöht sich die zum Einschlagen der Lenkung benötigte Kraft. Das gleiche Fahrrad neigt nun plötzlich zum > Untersteuern: Die Lenkausschläge erfolgen stets eine Idee zu spät und zu gering, das Fahrrad bekommt ein schwankendes Fahrverhalten. Beispiel: Rennräder sind für eine weit nach vorn orientierte Oberkörperhaltung konzipiert, bei der der Rennfahrer aerodynamisch und energetisch optimal auf seinem Sportgerät sitzt. Diese Räder sind wendig, besitzen bei dieser Sitzhaltung einen hinlänglichen > Geradeauslauf. Profis und Amateure fahren mit diesen Flitzern bergab Geschwindigkeiten von 100 und mehr km/h. Fährt nun ein Freizeitradler in aufrechter Haltung mit so einem Rennrad, so bekommt er bereits bei Tempo 40 oder 50 "die große Flatter", vgl. > Rahmenflattern. Umgekehrt sieht es aus, wenn auf einem Rennrad ein > Tria-Lenker gefahren und der Sattel weit nach vorn gestellt wird und sein Fahrer die > American Position einnimmt: Das gleiche Rad, das vom Freizeitradler gefahren zum Rahmenflattern neigt, ist nun überhaupt nicht mehr wendig, sondern schwankt schwerfällig von einer Schräglage nach links zu einer nach rechts und umgekehrt. Sicherlich lassen sich durch Gewöhnung und Steuerkunst solche Ungereimtheiten des Fahrverhaltens einigermaßen gut kompensieren. Besser aber, man paßt herstellerseits das Fahrverhalten der jeweiligen Fahrradtypen der typischen Sitzhaltung seiner Nutzer an, d.h.: Fahrräder für Gebrauchs- und Normalradler besitzen einen langen > Hinterbau, um das Hinterrad zu entlasten und das Vorderrad mehr zu belasten. Sportlich genutzte Fahrräder wiederum sollten einen entsprechend kurzen Hinterbau haben, gegebenenfalls sogar (> Mountainbike und > Triathlon-Rad) einen verlängerten > Vorderbau. TIPS Zur Orientierung einige Tips: 1. Einsteiger, Gelegenheits- und Freizeitbiker oder Reiseradler sind mit einer gemäßigten > Rahmengeometrie besser bedient (> Hinterbaulänge nicht unter 44/43 cm, Vorderbaulänge nicht über 61/63 cm). 2. Fürs bequemere Fahrverhalten nicht einen kürzeren > Vorbau montieren, sondern den Sattel weiter nach vorne stellen. 3. Bei horizontalen > Ausfallenden das Hinterrad ganz zurücksetzen (die > Anschlagschrauben zu entfernen bringt einen weiteren Zentimeter). 4. Eine sportlichere Haltung antrainieren. Die Muskeln stellen sich binnen vier bis sechs Wochen darauf ein. 5. Sollte Ihr Fahrrad bei einer schnellen Abfahrt einmal"flattern", Knie ans Oberrohr drücken und Oberkörper nach vorne und unten drücken. Erfahrungswerte Die optimale Quote der Lastverteilung des Fahrrergewichtes liegt übrigens bei 55 - 60% auf dem Hinterrad und entsprechend 40 - 45% auf dem Vorderrad. Mathematisch läßt sich dieser Sachverhalt für sportlich genutze Fahrräder durch den Abstand des Schwerpunktes von der Vorderradmitte ausdrücken, wobei für Rennräder ein Abstand von 56 cm angestrebt werden sollte, für Mountain Bikes entsprechend 58,5 cm. Dabei ist : As = Rs / (Gv / Gh + 1) Mit As = Schwerpunktabstand zur Vorderradmitte in cm Rs = Radstand in cm Gv = Gewichtsbelastung des Vorderrades in kg Gh = Gewichtsbelastung des Hinterrades in kg. Amerkung: Zum Ermitteln der jeweiligen Gewichtsbelastung der Laufräder stellt sich der Fahrer in Wandnähe (leichtes Abstützen mit dem Ellenbogen an der Wand) abwechselnd einmal mit dem Vorderrad, einmal mit dem Hinterrad auf eine Personenwaage. Dazu muß aber jeweils unter das nicht gemessene Laufrad eine Unterlage in Höhe der Personenwaagen-Oberkante gelegt werden. Weitere Informationen s.a. > Fahrverhalten. Sitzrohr Andere Bez. f. > Sattelrohr.
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Dipl.Ing.FH Christian Smolik 18.05.2000
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Dipl.Ing.FH Jörg Bucher zuletzt am 18.05.2000