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Online-Glossar Velotechnik von Christian Smolik

BREMSVORGANG

Verzögerungsvorgang bei Fahrzeugen, der einer Reihe von physikalischen und damit
berechenbaren Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Von bes. Interesse für Fahrräder
sind:

* Bremsbeschleunigung,
* Änderung der Lastverteilung auf die Laufräder,
* Abheben des Hinterrades,
* Blockieren der Laufräder,
* Umwandlung von > kinetischer Energie in
  Wärme.

    Rechenbeispiele
Die nachfolgenden Rechenbeispiele verdeutlichen den Sachverhalt. Rotierende
Massen (s. > Drehimpuls) und > Fahrwiderstand werden zur Vereinfachung nicht
berücksichtigt.

Vorgaben:

Gesamtmasse Rad (10 kg) + Fahrer (70 kg):  80 kg
Fahrgeschwindigkeit:                       36 km/h (10 m/s)
Abbremszeit bis zum Stillstand:             4 s
Radstand des Fahrrades:                     1,0 m
Gesamtschwerpunkt Fahrer+Rad    üb. Boden:  1,2 m
Gesamtschwerpunkt Fahrer+Rad    hinter Aufstandspkt. Vorderrad:  0,625 m
Anmerkung 1: Die Vorgaben Gesamtmasse, Radstand und Gesamtschwerpunkt variieren
von Fahrer zu Fahrer (und Fahrrad zu Fahrrad) und müssen auf die individuellen
Gegebenheiten angeglichen werden.

Anmerkung 2: Einzelheiten zu den Formeln können ggf. unter den entsprechenden
Stichworten nachgeschlagen werden.

                Brems-
                beschleunigung
Sie wird auch negative > Beschleunigung oder  Verzögerung genannt und wird als
gut meßbare Größe i.d.R. zur Beurteilung von Fahrradbremsen herangezogen. Sie
errechnet sich nach
ab  = Delta v / Delta t
mit:

ab      = Bremsbeschleunigung in m/s²;
Delta v = Geschwindigkeitsänderung durch den Bremsvorgang (36 km/h = 10 m/s);
Delta t = Zeitraum des Bremsens (4 s).

Bei einer Abbremsung von 36 km/h bis zum Stillstand ergibt sich die Bremsbeschleunigung mit
ab  = 10 m/s / 4s = 2,5 m/s²
In Worten: Wird von 36 km/h innerhalb von 4 Sekunden auf 0 km/h abgebremst, so
erfordert dies eine Bremsbeschleunigung von 2,5 m/s². Zur Veranschaulichung: Ein
gutes Viertel der Erdbeschleunigung - der Fahrer wird also mit gut einem Viertel
seines Gewichtes in Fahrtrichtung gedrückt.

                Bremskraft
Die beim Bremsen wirksame Kraft - auch "Verzögerungskraft" genannt - errechnet
sich nach der Formel:

Fv = m . ab
Fv = Verzögerungskraft in N;
m  = Masse von Rad und Fahrer in kg;
ab = Bremsbeschleunigung in m/s²;
Unter o.g. Vorgaben ergibt sich bei einer Bremsbeschleunigung von 2,5 m/s² eine
Bremskraft von:

Fv = 80 kg . 2,5 m/s² = 200 N (> Newton).

Anmerkung: Der Fahrer muß infolge der Bremsbeschleunigung rund 1/4 seines
eigenen Gewichts auf dem Lenker abstützen.

                Lastverteilung
Da die Bremskraft im gemeinsamen Schwerpunkt von Rad und Fahrer - 1,2 m über der
Fahrbahn - angreift, erzeugt sie ein in Fahrtrichtung wirkendes > Kippmoment,
welches zu einer Entlastung des Hinterrades führt. Berechnung:

Fl = Fk x hs / lr
Fl = das Hinterrad entlastende Kraft in N;
Fk = Kippkraft (entspricht der Bremskraft) in N;
hs = Höhe des Körperschwerpunktes über der Aufstandsfläche in m;
lr = Radstand in m.

Unter den Vorgaben errechnet sich die das Hinterrad entlastende Kraft nach
Fl = 200 N x 1,2 m / 1,0 m = 240 N
Diese Kraft wird von der auf dem Hinterrad wirkenden Gewichtskraft 50 kg
entspricht etwa 500 N abgezogen (500 N - 240 N = 260 N) und addiert sich zu der
Gewichtskraft auf dem Vorderrad (300 N + 240 N = 540 N).

Es ergibt sich somit eine Brems-Gewichtsver-teilung von 54 kg auf das Vorderrad
und 26 kg auf das Hinterrad.

                Abheben des
                Hinterrades
Das Hinterrad hebt vom Boden ab, wenn das Vorderrad die gesamte Last von Rad und
Fahrer trägt (in unserem Beispiel also 800 N). Die dazu erforderliche Kippkraft
(Bremskraft) ergibt sich durch Formelumstellung aus dem > Kippmoment und >
Standmoment zu
Fk = G x Ik / hs
mit:

Fk = Kippkraft (^= der Bremskraft) in N;
G  = Gewichtskraft von Rad und Fahrer in N;
lk = horizontaler Abstand Körperschwerpunkt/Aufstandspunkt Vorderrad in m;
hs = Höhe des Körperschwerpunktes über der Radaufstandsfläche in m;
Unter unseren Vorgaben hebt das Hinterrad ab, wenn die Kippkraft (Bremskraft)
Fk = 800 N x 0,626 m / 1,2 m = 417 N
übersteigt.

Anmerkungen:

1. Bei dieser Verzögerungskraft wird eine Betätigung der Hinterradbremse
wirkungslos für den Bremsvorgang.

2. Bis es tatsächlich zum Überschlag kommt, muß noch die "Kipparbeit" geleistet
werden, das ist die Anhebung des Gesamtschwerpunktes um (bei unseren Vorgaben)
13,5 cm, bis er senkrecht über der Kippkante steht.

                Überschlags-
                vermeidung
Um die Überschlagsgefahr zu reduzieren, kann der Fahrer seinen Schwerpunkt
weiter nach hinten und nach unten verlagern.

Das machen Rennfahrer instinkstiv, indem sie beim Bremsen im Sattel nach hinten
rutschen, sich bisweilen sogar "hinter den Sattel setzen" (also den Schwerpunkt
zusätzlich absenken). Die Wirksamkeit diese Maßnahme wird im folgenden Beispiel
deutlich, wobei ein Fahrer den Gesamtschwerpunkt um 10 cm nach hinten verschiebe
und um 10 cm absenke:

hs wird also 1,1 m,
lh 0,725 m
Es wird dann zum Abheben des Hinterrades die Folgende Kippkraft (Bremskraft)
erforderlich:

Fk = 800 N x 0,725 m / 1,1 = 527 N.

Die Überschlagsgefahr reduziert sich damit um rund 1/4.

                Radblockade
Übersteigen die Bremskräfte die > Haftreibung zwischen Reifen und Fahrbahn, so
kommt es zur Laufradblockade, was i.d.R. sturzträchtige > Spurversetzungen zur
Folge hat.

Durch die Änderung der Lastverteilung beim Bremsen tritt dies unter
Normalbedingunen vorwiegend beim Hinterrad auf. Sandige oder glitschige
Fahrbahnen können aber auch zum Blockieren des Vorderrades führen, was dann
nahezu zwangsweise zum Sturz führt.

Die > Reibungskräfte zwischen Reifen und Fahrbahn (s. > Traktion; >
Bodenhaftung) errechnen sich nach der Formel:

Fr = Fn . µ
Fr = Reibungskraft zw. Reifen und Fahrbahn in N;
Fn = > Normalkraft, hier Laufradbelastung in N;
µ  = > Reibungskoeffizient, ohne physikal. Einheit; er liegt bei den
     Reibpartnern Reifen/Straße im Bereich von 0,8 - 1,0 und kann bei
     rauhem Asphalt (Verkrallung des Reifengummis in die
     Fahrbahnrauhigkeiten) sogar 1,1 betragen.

     Für die folgende Rechnung wird er mit 0,9 angenommen.

Unter unseren Vorgaben (Vorderradbelastung durch Gewichtsverlagerung infolge
Bremsens: 540 N) errechnet sich die Bodenhaftung des Vorderrades zu:

FrV = 540 N . 0,9 = 486 N,
die des Hinterrades (Hinterradbelastung durch Gewichtsverlagerung infolge
Bremsens: 260 N)
FrH = 260 N . 0,9 = 234 N.

Aus dem Rechenbeispiel wird deutlich:

1. Per Vorderradbremse kann eine größere Bremswirkung erzielt werden;
2. Es kommt eher zum Abheben des Hinterrades (wozu ja lediglich eine Kippkraft
(Bremskraft) von 417 N nötig war), als zum Blockieren des Vorderrades.

                Wärme-
                entwicklung
Sieht man einmal vom Ausreißen kleinster Gummipartikel aus Reifen und Bremsgummi
ab (> Abrieb), wird bei Abbremsung bis Stillstand die gesamte > kinetische
Energie durch Reibung an den Bremsflächen und Reibung der Reifen auf der
Fahrbahn in Wärme umgewandelt. Für unser Beispiel mit einem Gesamtgewicht von
Rad und Fahrer von 80 kg und einer Geschwindigkeit von 36 km/h ergibt sich nach:

Ekin = 1/2 . m . v²
Ekin = kinetische Energie in Nm;
m    = Masse in kg;
v    = Geschwindigkeit in m/s.

eine kinetische Energie von:

Ekin = 1/2 . 80 kg . 10 m/s . 10 m/s = 4000 Nm bzw. 4000 J (> Joule).

Da 1 Joule 1 Gramm Wasser um 0,24o C erwärmt, würde diese Wärmeenergie 1 Liter
Wasser um knapp 1 Grad erwärmen.



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Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH
Christian Smolik 18.05.2000
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH
Jörg Bucher zuletzt am 18.05.2000