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Online-Glossar Velotechnik von Christian Smolik

SATTELSCHWINGE

Landläufige Bez. f. eine federnde, den Sattel tragende Schwinge, um die
Auswirkungen von > Beschleunigungskräften durch Fahrbahnunebenheiten auf den
Fahrer zu mildern.

Hierzu ist die Schwinge entweder in sich elastisch ausgeführt (Allsop) oder sie
wird in starrer Bauweise über Federelemente am Rahmen abgefedert und gedämpft
(Zipp). Die Sattelschwinge federt nur den Fahrer und zählt zu den passiven
Federungen (s. > Fahrradfederungen). Daher unterliegt die gesamte Fahrzeugmasse
(9 - 12 kg) den Beschleunigungskräften - i.U. zur aktiven Federung, bei der
lediglich die Laufradmasse abgefedert wird (ca. 2 - 3 kg). Entsprechend träger
reagiert das Federungssystem Sattelschwinge.

Trotzdem muß bei einem Faktor 8 zwischen ungefederter Masse (Fahrrad) und
gefederter Masse (Fahrer) die Sattelschwinge noch als eine sinn- und
wirkungsvolle Federung angesehen werden. Vorteile der Sattelschwinge:

1. > Seitensteifigkeit und > Spurtreue des Rahmens bleiben erhalten;
2. beim > Wiegetritt bleibt das System inaktiv, besitzt also keine Kraftverluste
durch "Einnicken" der Federung;
3. gleichermaßen wirkungslos bleiben Kettenzug und Pedalschlag (s. >
Fahrradfederungen: Reaktionsfreiheit).

Als nachteilig wird ein - besonders in der Eingewöhnungsphase auftretender -
Wippeffekt empfunden (vertikale Resonanzschwingungen), der sich v.a. bei höheren
> Trittfrequenzen einstellt. Hierfür gibt es mehrere Ursachen:

1. Die > Vorspannung der Schwinge ist zu gering; das kann durch Wechsel auf eine
steifere Version geändert werden;
2. der Fahrer tritt unrund, besitzt also Druckspitzen in seinem Trittablauf;
3. die Sattelschwingen sind zu flach angestellt;
4. die > Dämpfung der Schwinge ist zu gering.

ad 1: Je weicher eine Sattelschwinge ausgeführt ist (je nach Körpergewicht sind
bei Allsop drei unterschiedlich steife Ausführungen erhältlich), um so weiter
federt sie durch das Fahrergewicht ein und um so größer sind die Auswirkungen
eines unrunden Trittablaufes;
ad 2: Die Pedalkraft von Radlern variiert innerhalb des Tretablaufs häufig (s.a.

> runder Tritt). Meist erfolgt der größte Krafteinsatz, wenn die Tretkurbel in
etwa waagrecht steht. Damit entlastet der Fahrer seinen Satteldruck, "hebt" sich
also sozusagen selbst etwas aus dem Sattel. Folge: Die Schwinge federt nach
oben. Läßt der Pedaldruck dann wieder nach, federt die Schwinge wieder zurück.

Da sich diese Bewegung bei jedem Tritt wiederholt, kann die Sattelschwinge in
Resonanzschwingungen geraten. Andererseits erzieht gerade dieser Sachverhalt den
Fahrer dazu, runder und damit auch effektiver zu treten, um den unangenhmen
Wippeffekt zu vermeiden.

ad 3: Überrolt das Hinterrad ein Hindernis (s.a. nebenstehende Skizze), so
werden alle Massepunkte von Rad und Fahrer um den Aufstandspunkt des Vorderrades
herum beschleunigt. Für den Sattel resultiert daraus eine etwa 45-Grad-Bewegung
nach vorn. Dieser Bewegung kann der Sattel am günstigsten ausweichen, wenn die
Schwinge unter etwa 45 Grad nach hinten angestellt ist. Damit verglichen sind
die Allsop-Sattelschwingen v.a. für kleinere Fahrer/innen zu flachangeordnet.

Folge: Die Ausweichbewegung der Sattelschwingen kann nicht optimal erfolgen, der
unrunde Trittablauf besitzt größere Auswirkung auf die Resonanzerscheinung.

Anders ausgedrückt: Je mehr sich die Sattelschwinge einer 45-Grad-Neigung
nähert, um so günstiger kann sie den Beschleunigungskräften ausweichen und um so
geringer ist die Gefahr der Wipperscheinung.

ad 4: Dämpfung ist nach wie vor das einfachste Mittel, um Resonanzerscheinungen
vorzubeugen.

Ausführungsbeispiele:

        Allsop
Der Erfinder der Sattelschwinge (USA 1989) verwendet einen Doppelbalken aus >
Carbon mit einer dazwischenliegenden Schicht aus > Silikon zur Dämpfung. Die
Schwinge wird in der Nähe des > Steuerrohres fixiert und federt über eine Länge
von annähernd 50 cm den am hinteren Ende befestigten Sattel ab, wobei die
Ausweichbewegung mehr als 10 cm betragen kann. Zur Anpassung auf die Fahrergröße
kann die Neigung der Schwinge verändert und der Sattel horizontal verschoben
werden.

In der Praxis hat sich die Dämpfung als nicht ganz ausreichend erwiesen, weshalb
v.a. Anfänger zunächst zu einer steiferen Ausführung greifen sollten. Bei großen
Fahrern (Sattelabstand von mehr als 85 cm zur Tretlagermitte) erfolgt
zwangsläufig eine steilere Anstellung der Allsopschwinge, womit sich deren
Wirksamkeit verbessert und die Resonanzeffekte geringere Auswirkungen besitzen.

Per Nachrüstsatz können alle > Diamantrahmen mit der Allsopschwinge nachgerüstet
werden. Daneben bietet der Hersteller auch eigens für die Schwinge konzipierte
Rahmen an.

        Zipp
Der amerikanische Rahmen- und Scheibenrad-Hersteller Zipp war anfänglich
Lizenznehmer von Allsop, wartete aber 1994 mit eigenem Schwingenkonzept auf:

Seine Schwinge ist als starrer Carbonträger ausgeführt und ebenfalls in
Steuerrohrnähe gelagert, Federung und Dämpfung erfolgten innerhalb der Lagerung
über > Elastomere.

Die Zipp-Schwinge ist von Haus aus steiler angestellt, besitzt aber mit knapp 2
cm einen erheblich kleineren Federweg als die Allsop-Schwinge. Daher erreicht
sie momentan nicht annähernd den Fahrkomfort von Allsop, neigt jedoch nicht zu
den mehrfach erwähnten Wippeffekten.



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Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH
Christian Smolik 18.05.2000
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH
Jörg Bucher zuletzt am 18.05.2000