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Kapitel 4: Kette
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Die Kette leistet einen ganz wesentlichen Beitrag zum leichten und schnellen Vorwärtskommen auf dem Fahrrad, denn sie geht äußerst sparsam mit unserer nun einmal begrenzten Leistungsfähigkeit um. Lediglich ein bis zwei Prozent bleiben bei der Kraftübertragung von der Kurbel auf das Hinterrad "auf der Strecke".
Doch wenn das Sprichwort "Undank ist der Welten Lohn" auf irgendetwas zutrifft, dann sicherlich auch auf die Kette. All zu häufig wird auf dieses aus fast 500 Einzelteilen bestehenden Fahrrad-Element geschimpft und geflucht. Beispiele dafür gibt es genug: Ist nur ein einziges der über hundert Kettenglieder unbeweglich (Velo-Jargon: steifes Glied), springt die Kette laufend nach zwei bis vier Kurbelumdrehungen trittverunsichernd je einen Zahn über. Arbeiten Schaltung und Umwerfer nachlässig und die Kette verklemmt sich in Speichen, im Ausfallende oder zwischen den Kettenblättern, bekommt prompt die Kette eine Schuldzuweisung. Und wenn die stets leicht schmierige Kette gar Beine und Hosen verschmiert bzw. beim Velo-Transport andere Bekleidungsstücke oder die Auto-Polster einölt, dann "ist der Bär los".
Dabei haben wir es, bildlich gesprochen, bei der Kette im Grunde genommen mit einer chronisch Kranken zu tun. Ihr Leiden: Gelenkverschleiß. Die Kette muß bei Sportlern ein geradezu gigantisches Drehmoment an die Ritzel weitergeben. Bei 1.500 Newton Pedalbelastung und einem 22er Kettenblatt kommt da ein Antriebsmoment von sage und schreibe 1000 Nm zusammen. Zum Vergleich: Das maximale Drehmoment der Motoren von Großraum-Limousine liegt bei 300 bis 400 Nm. Desweiteren ist sie gnadenlos Schmutz und Spritzwasser ausgesetzt. Das zerrt, das schmirgelt, das verschleißt die Kettengelenke. Beheben könnte man die Sache allenfalls mit einem geschlossenen Kettenkasten, denn nur dieser hält zuverlässig allen Dreck fern. So ein Kettenkasten ist übrigens - siehe Hollandrad - bei jeder Nabenschaltung ausgesprochen sinnvoll: Zweimal pro Jahr nachölen und alle Jahre einmal die Kette nachspannen, das ist bereits die gesamte Kettenpflege und ... die Kette überlebt 20.000 Fahrkilometer und mehr. Anders beim reinen Sportgerät, dort wäre schon allein aus optischen Gesichtspunkten heraus ein geschlossener Kettenkasten schier undenkbar. Folglich wird hier nach wie vor die Kette beschmutzt und gewässert. Das Tragische daran: Einmal in die Kettengelenke eingedrungen, ist der Schmutz nicht mehr vollständig zu entfernen; auch nicht durch Reinigungsversuche per Ultraschall.
Wir können das Ketten-Leiden quasi nur ein bißchen lindern, indem wir a) so gut es geht das Eindringen von Schmutz reduzieren und b) keinen Mangel an Schmiermittel aufkommen lassen - mit anderen Worten, eine intensive Kettenpflege betreiben. Selbst eine neue Kette sollte mit Sprühwachs eingesprüht und wieder gründlich abgewischt werden. Damit haben wir nicht bloß etwas für den Korrosionsschutz getan, die Kette ist äußerlich auch nicht mehr ölig oder fettig und bindet deshalb bereits weniger hartnäckig Staub und Schmutz an sich. Bei Micro Drive-Garnituren alle 100, ansonsten alle 150 Kilometer heißt es für die MTB-Kette Nachölen. Und gelegentlich sollte eben Sprühwachs zum Einsatz kommen, damit das Kettenäußere wie gesagt möglichst schmutzfrei bleibt, wodurch auch die Kettenblätter und Ritzel-Kettenblätter geschont werden.
Weshalb kontinuierlich Nachölen? Bei dem Abwinkeln der Kettenglieder unter voller Tretlast steht der Schmierfilm unter sehr hohem Druck (bis über 1.000 N/mm an den Bolzenkanten). Es genügt ein winziges Staubkörnchen, der Film ist durchtrennt und Metall schleift auf Metall. Darum haben sich Fließfette und Fließöle als Kettenschmiermittel bewährt. Sie fließen relativ schnell nach und kitten auf diese Weise den gerissenen Schmierfilm. Außerdem füllen sie aufgrund ihrer zähen Konsistenz mehr schlecht als recht den Spalt zwischen den Kettengliedern und schützen/dichten so noch ein klein wenig vor eindringenden Schmutzpartikeln. Beim Durchtrennen des Schmierfilms entstehen interessanterweise Mikrobereiche mit derart hohen Temperaturen, daß sich das Schmiermittel in seine Bestandteile zerlegt, was sich durch seine Schwärzung bemerkbar macht.
Je höher nun die Kettenlast und je größer die Winkelgrade, die Kettenglieder beim Ein- und Ausschwenken in die Zähne von Kettenblatt und Ritzel überwinden müssen, desto gewaltiger ist der Schmiermittel-Verbrauch und desto öfter muß nachgeölt werden. Anders ausgedrückt: Die Micro-Drive-Kurbeln "streßen" die Ketten noch stärker als herkömmliche Kurbelgarnituren. Mit einer sogenannten "Lubrimatik" von Rohloff kann man sich in diesem Fall das Leben erleichtern und die Kette sogar im Laufe einer Fahrt nachschmieren, siehe Bildreihe. Angesichts der Tatsache, daß das auf die Kette gebrachte Öl letztendlich fast zu hundert Prozent im Grundwasser landet, sollten speziell die durch Wald und Flur düsenden Biker ungiftige und biologisch abbaubare Kettenöle verwenden. Also Hände weg von Getriebeölen, die oftmals als das Ketten-Geheim-Schmiermittel bezeichnet werden.
Soviel zur Pflege der Kette, jetzt wollen wir uns mal wieder in die berühmten Details vertiefen, denn die Kette ist ja auch aktiv am Schaltvorgang beteiligt. Bis in die jüngste Vergangenheit war für Schaltungsketten noch die Hülsen-Rollenkette üblich. Dort fixierte man je zwei Innen-Kettenlaschen mit einem kurzen Röhrchen, der sogenannten Hülse. Durch die Hülse hindurch verbinden Bolzen dann ein Außen-Laschen-Paar. Damit haben wir zwei unterschiedliche Kettenglieder. Einerseits das Innenlaschen-Pärchen mit der sie zusammenführenden Hülse und andererseits das Außenlaschen-Pärchen mit den sie vereinigenden Bolzen. Auf der Hülse läuft dann noch eine Rolle, um Gleitbewegungen auf den Zahnflanken zu unterbinden.
Jedes Kettenglied dreht nämlich beim Ein- und Ausschwenken in Ritzel und Kettenblattzähne in seinem Gelenk. Genauer: Die jeweilige Rolle legt sich ohne Drehung an die entsprechende Zahnflanke an und es erfolgt daraufhin eine Drehung der Hülse innerhalb der Rolle über den Bolzen. Damit gibt es keine zusätzliche Reibung zwischen Rolle und Zahnflanke, was - extrem wichtig bei Alu-Zähnen - den Ritzel- und Kettenblatt-Verschleiß minimiert.
Daß die Kette heutzutage direkt am Schaltvorgang beteiligt ist, verdanken wir einer Rationalisierungsmaßnahme. Die Firma Sedis verzichtete Ende der 70er Jahre auf die Innenlaschen-verbindende Hülse und "zog" stattdessen aus jeder Innenlasche jeweils eine halbe Hülse kragenartig (daher der Name Lagerkragen) sofort aus dem Laschenmaterial. Somit wurden nicht nur die Fertigung und Vernietung der Hülse gestrichen, die Kettenlaschen konnten zudem niedriger ausgeführt werden, da der integrierte "Kragen" im Gegensatz zur eingenieteten Hülse "tragendes" Laschenmaterial bildet. Nebenbei wurde noch der Gliederstrang sozusagen automatisch seitlich beweglicher. Durch die niedrigeren Innenlaschen weniger geführt, konnten sie sich seitlich weiter verkanten. Obendrein verschieben sich nun beide Laschen bei diesen Auslenkungen geringfügig gegeneinander, was eine weitere seitliche Beweglichkeit erbrachte.
Und das Aufbördeln der Hülse war fortan passé, der Spalt wurde enger und die Kettenbreite konnte von den damals üblichen 7,6 Millimeter auf 7,2 Millimeter reduziert werden. Beim Gangwechsel demonstrierte diese schmale, bewegliche Kette denn auch ein anderes Verhalten, wenn sie von Ritzel zu Ritzel hüpfte. Während die alte Hülsenkette, vor ein größeres Ritzel gedrückt, ob ihrer "Steifheit" komplett nach außen gespreizt auf dieses Ritzel kletterte, schwang sich die Sedis-Kette mit einem Zick-Zack-Schlenker hinauf.
Trotz dieser eindeutigen Schaltungsvorteile nahm jahrelang kein Hersteller diese Idee einer hülsenlosen Kette auf. Erst die Firma Rohloff verfeinerte beinahe zehn Jahre später die Eigenheiten der Sedis-Kette: Die seitliche Beweglichkeit wurde mittels "Ohren" an den Außenlaschen gesteigert, die Kette noch schmaler und durch die in der Abbildung ersichtlichen Anfasungen der Laschen das Einlaufen auf andere Ritzel noch optimiert. Andere Unternehmen zogen nach und mittlerweile führen alle Teile-Produzenten hülsenlose Ketten - Lagerkragen-Ketten - in ihrem Angebot. Die Kettenbreite hat sich bei 7,0 bis 7,2 Millimeter, für die Neunfach-Ketten bei 6,8 mm eingependelt.
Auch in Puncto Kletter-Eigenschaften wurden die Hersteller tätig: Shimano kröpfte die Außenlaschen bis auf den Bolzenüberstand nach außen. Für den Umwerfer brachte dies zugleich ein gutes Gleitverhalten der Kette. Suntour erzielte den gleichen Effekt, indem es die Außenlaschen nach außen abkantete. Sachs/Sedis schließlich schärfte die Kettenlaschen zu diesem Zweck regelrecht an. Gesamtergebnis jener zahlreichen Modifizierungen: Bezüglich der Schaltfreudigkeit liegen aktuelle Ketten-Versionen meilenweit vor denen von vor Zehn Jahren, aber untereinander liefern sie sich sozusagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Einzig und allein was den Kettenverschleiß anbelangt, hatten SRAM/Sachs und Rohloff noch die Nase vorn, aber auch da holen die anderen über kurz oder lang auf. So hat sich diesbezüglich auch die alteingesessene deutsche Firma Wippermann "zurückgemeldet".
Härtere Bolzenoberflächen sind beispielsweise solch ein Mittelchen, nachdem in diesem Zusammenhang gegriffen wird. Da der Bolzen einen kleineren Durchmesser als der Lagerkragen aufweist, kommt es zwischen den beiden zunächst nur zu einer linienförmigen Berührung. Das bedeutet, eine hohe Flächenpressung und damit einen enormen Verschleiß. Die Folge: Der Bolzen nimmt an den Kontaktstellen zum Lagerkragen dessen Durchmesser an, die Kette wird länger. Ein härterer Bolzen trotzt hier dem Verschleiß logischerweise mehr. Noch einen Schritt wagte sich die Firma Wippermann vor: Da nicht allein die Härte, sondern auch die Oberflächengüte der Kettenbolzen in das Verschleißverhalten eingeht, wird seit Januar `95 jeder einzelne Kettenbolzen ihrer Conntex-Kette zusätzlich noch geschliffen.Sie sehen, die Feinheiten liegen wahrhaftig im Detail und bestimmt wird bei der Schaltungskette in Zukunft noch manch' technischer Leckerbissen gefunden werden.
Neue Eigenschaften eröffnen neue Möglichkeiten, schaffen aber zum Teil auch Sachzwänge. Unter anderem wird die Schaltungskette durch den Hyperglide-Überlauf seitlich sehr stark belastet. Wie im Kapitel "Ritzel" bereits erläutert, kommt es beim Überlauf der Kette zum nächsten Ritzel zu einem Zick/Zack-Schwenk, bei dem die Außenlaschen danach trachten, von den Kettenbolzen abzurutschen. Mitten im Gelände ein peinliches Mißgeschick und wer sich dann nicht mit einem 3 mm-Inbusschlüssel, Steinen und M5- Muttern zu helfen weiß, muß eventuell kilometerweit schieben oder rollern.
Dank einer werkseitigen guten Vernietung ist das allerdings ein Problem für die Kettenstelle, an der die Kette zum Endlosband gefügt wird. Hier reicht die früher übliche Preßpassung nicht aus, eine Bolzenaufweitung muß den Rutschkräften gegenhalten.
Marktführer Shimano offeriert deshalb einen sogenannten Montage-Niet, der hinlänglich hält, aber nicht für jeden Kettentyp taugt, wie zum Beispiel ein spezieller Kettennieter, der schon im "Werkzeug"-Kapitel erwähnte Rohloff-Revolver. Er weitet an der Fügestelle den Kettenbolzen jedweder Kette wieder auf und vermeidet hiermit ein Abrutschen der Außenlaschen.
Abschließend sei nochmals festgehalten, daß bei seriösen, modernen Schaltungsketten Qualitäts- und Schaltbarkeits-Unterschiede recht gering ausfallen. Entgegen Herstellerangaben können Sie also durchaus Kette X mit Schaltanlage Y kombinieren.
Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH Christian Smolik 1994 -
03.08.1999
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH Jörg Bucher zuletzt am
24.08.1999