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Kapitel 12 Reifen
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Die nächste Reifenpanne kommt bestimmt... Es läßt sich wohl nicht leugnen, daß sie die häufigste Defektursache am Velo ist. Andererseits ist es gerade der luftgefüllte Reifen, der uns das leichte Rollen und einen gewissen Fahrkomfort einräumt.
Prinzipiell hat sich seit der Erfindung von Thomson und Dunlop am Reifen nichts geändert: Ein relativ dünnwandiger Schlauch hält die Luft und gummiertes Gewebe (die Karkasse) umhüllt ihn. Obenauf sitzt ein sogenannter Protektorstreifen aus einer abriebfesten Gummimischung, der dem Reifen seine Griffigkeit, seine Spurtreue vermittelt und vor spitzen Eindringlingen schützt. Vom Luftdruck im Schlauch unter Spannung gesetzt, puffert und federt der Reifen kleinere Fahrbahnunebenheiten aus und läuft mit geringsten Reibungsverlusten über Stock und Stein.
Beim Drahtreifen ist der Schlauch lose ins Felgenbett eingelegt. Außen umschließt ihn eine Reifendecke mit seitlicher Drahtverstärkung, die wiederum mit Hilfe von Felgenhörnern gehalten wird. Je höher der gefahrene Luftdruck, desto leichter rollen Reifen, büßen jedoch gleichzeitig an Fahrkomfort ein. Wird die Gummiauflage an Protektorstreifen und Karkasse extrem sparsam gehalten, kann eine weitere Leichtlaufsteigerung erzielt werden. Ebenso, wenn die Karkasse aus dünnen, dafür dichter gepackten Fäden besteht, was zudem die Geschmeidigkeit des Reifens fördert. Desweiteren sind Nylongewebe "leichtfüßiger" als solche aus Baumwolle. Allerdings gelten die Naturfasern auf der anderen Seite als komfortabler. Schließlich spielt noch die Reifendicke in einem geringen Ausmaß eine Rolle hinsichtlich des Leichtlaufverhaltens.
Die übliche Reifenarmierung wird mit Stahldraht vorgenommen, daher auch der Name Drahtreifen. Schnüre aus Nylon-, Kevlar- oder (selten) Glasfasern machen den Drahtreifen faltbar, weshalb dann auch vom Faltreifen gesprochen wird. Da die Dichte der Schnüre weit unter der von Stahl liegt, wiegen Faltreifen bei gleicher Ausführung rund 50 bis 100 Gramm weniger als die "echten" Drahtreifen.
Beim Schlauchreifen wird der Schlauch rundum in die Karkasse eingenäht, wodurch der Reifen zum kompletten Bauteil wird. Die Fixierung auf der Felge erfolgt mittels Reifenkitt oder doppelseitig klebendem Reifenklebeband in dem muldenförmig ausgebildeten Felgenbett der Schlauchreifen-Felgen.
Zum Vergleich: Während Drahtreifen bei allen Fahrradtypen eingesetzt werden, sind Schlauchreifen dem Rennsport vorbehalten, wo sie früher ausnahmslos dominierten. Schlauchreifen besitzen leichte Gewichtsvorteile und einen etwas besseren Fahrkomfort. Letzteres resultiert daraus, daß der unter Luftdruck gesetzte Reifen nicht die Spannungsspitzen des Drahtreifens im Bereich des Reifendrahtes besitzt, dadurch in sich homogener ist und die Fahrbahnunebenheiten etwas günstiger auspuffern kann. Daraus, sowie aus der Verwendung dünnerer und leichterer Schläuche ergeben sich weiterhin leichte Vorteile hinsichtlich des Leichtlaufes für den Schlauchreifen.
Drahtreifen sind im Gebrauch preiswerter, da sich Reifendefekte leicht und schnell beheben lassen, während Schlauchreifen nach Defekten in der Regel ausgedient haben. Zwar ist auch hier eine Reparatur möglich, aber doch eine sehr umständliche und zeitaufwendige Prozedur. Hinsichtlich Reifendefekten neigen Schlauchreifen häufiger zum sogenannten "Schleicher", das sind kleine Undichtigkeiten, bei denen die Luft erst im Stundenzeitraum entweicht. Bei Drahtreifen hingegen kommt es häufiger durch die Felgenhörner zum Durchschlag. Der wird in den USA übrigens als "Snakebite" (Schlangenbiß) bezeichnet, da sich durch den Schlag des Reifens auf das Felgenhorn zwei nebeneinander liegende Löcher im Schlauch ergeben.
Unterwegs ist bei Reifendefekten ein Schlauchreifen schneller zu wechseln, als ein Drahtreifen zu flicken respektive seinen Schlauch auszutauschen wäre. Auf der Felge sitzen Drahtreifen sicherer und durch die Felgenhörner zentriert auch rundlaufender. Neben dem spürbar verbesserten Leichtlaufverhalten der für den Radrennsport angebotenen Drahtreifen sowie deren deutlichen Gewichtsreduzierung ist dies ein Grund, daß Drahtreifen nun auch vermehrt im Radrennsport eingesetzt werden. Trotz seiner nach wie vor vorhandenen Vorzüge (er benötigt die leichteren und verwindungssteiferen Schlauchreifenfelgen, hat immer noch Gewichtsvorteile und einen besseren Leichtlauf) gerät der Schlauchreifen immer mehr ins Hintertreffen.
Während seinerzeit die Gewebelagen und der Protektor mit Gummilösung in mehreren Arbeitsgängen verklebt wurden, vulkanisiert man heutzutage den kompletten Reifen auf einen Schlag. Das bringt eine erhebliche Arbeitszeiteinsparnis und eliminiert die einjährige Reifen-Auslagerung. Ein vulkanisierter Reifen, identifizierbar an seinen glatten Reifenflanken und erhabenen Einprägungen darauf, ist sofort nach dem Abkühlen fahrbereit, sein Leichtlaufverhalten ausgesprochen erfreulich. Auf der Strecke bleibt bei diesem neuen Verfahren ein Quentchen Fahrkomfort. Dafür ist der Reifen an den Flanken unempfindlicher geworden. Bei Sonderausführungen zur Mitnahme für unterwegs werden Nylon- oder Kevlarfäden statt der üblichen Stahldrähte eingearbeitet, welche das Reifengewicht zusätzlich um rund 70 bis 90 Gramm runterschrauben.
Durch die Reifen-Vulkanisierung hat sich das geheimnisumwitterte Reifen-"Ablagern" jedoch nicht unwillkürlich mit erledigt. Was steckt überhaupt hinter diesem Mysterium? Nun, neben anderen Beimengungen werden bei modernen Reifen auch sogenannte Weichmacher in ihre Gummimischung gegeben. Diese verdampfen nach und nach (nicht der Gummi, die Weichmacher "riechen" nach Reifen), der Gummi wird härter und spröder. Der Pneu rollt dadurch leichter und es treten weniger Reifenpannen auf. Weil dies ohne Zweifel zu Lasten der Reifen-Griffigkeit geht, sollten zum Beispiel schneidig durch die Kurven flitzende, sportliche Biker die Ablagerung bei ein bis zwei Jahren belassen. Sachgemäß abgelagert werden Reifen (möglichst faltenfrei) in einem mäßig temperierten (15 bis 20 Grad C), abgedunkelten Raum (alter Schrank oder großer Karton). Licht, speziell UV-Strahlen, können eine Depolymerisierung des Gummis bewirken, das heißt, er würde an elastischen Eigenschaften verlieren.
Für asphaltierte Straßen gilt: "Das beste Profil ist gar kein Profil". Die Kontaktfläche mit der Straße ist nämlich um den Faktor 120 (Rennrad) bis 40 (MTB) kleiner als beim Auto, während das Gewicht nur um den Faktor 15 bis 20 niedriger ausfällt. Damit übt der Radfahrer pro Flächeneinheit mehr Druck auf die Straße aus als das Auto und kann deshalb auf die Profilierung (zur "Verkrallung" mit den Fahrbahnunebenheiten) verzichten. In Anbetracht der linsenförmigen Kontaktfläche des Fahrradreifens ist Aquaplaning bei Regen nicht von Belang.
Sämtliche im letzten Absatz gemachten Feststellungen sind auch auf festen Untergrund (Naturtrassen/Offroadgelände) übertragbar. Das ändert sich ad hoc, wenn loser sandiger oder steiniger Belag unter die Reifen kommt. Dann stabilisieren auch beim Drahtesel Profile die Reifen-Seitenführung. Bei einem tief sandigen oder matschigen Boden greifen einzig und allein grobstollige Profile, welche den Reifen-Rollwiderstand allerdings gehörig vergrößern. Stehen die Stollen auch noch dicht beieinander und sind großflächig ausgeführt, potenziert sich der Rollwiderstand durch das Zusetzen der Profilierung. Grip und Spurtreue sind dann ebenfalls zunichte. Zweckmäßiger sind vielmehr kleinflächige, weiter auseinander stehende Stollen, da sie eine Art Selbstreinigungs-Programm durchführen, indem Matsch durch die Walkarbeit des Reifens wieder herausgedrückt wird.
Auf festem Untergrund, insbesondere auf Asphaltstraßen, kommt es bei grobstolligen Reifen zu einem rubbelnden Abrollverhalten und in Kurvenschräglage zu einem schwammigen Fahrgefühl, weil der Reifen dann sozusagen auf den wegknickenden Stollen "schwimmt". Dem Leichtlauf ist dies selbstverständlich auch nicht gerade zuträglich. Man hat deshalb einigen Reifen v-förmige Profile verpaßt bzw. solche, die sich nebeneinander liegend überlappen. So kommt es nicht zum rubbelnden Absenken von Roß und Reiter zwischen den einzelnen Profilstollen. Ein Vorstoß, Reifen mit einer Mittelrille auszustatten, ist mißlungen. Zum einen neigen diese Reifen auf Pflasterstrecken zum Einspuren, was zu einem fahrverunsichernden, schienenartigen Fahrgefühl führt, zum anderen schwindet die Traktion im tiefen Gelände spürbar.
Eine Sonderstellung nehmen die Slicks mit Schulterstollen ein, ein von mir entwickelter Reifentyp: Mit relativ glatter Lauffläche rollt und "greift" er auf festem Untergrund hervorragend. Trifft er auf tiefes "Geläuf", kommen seine Schulterstollen zum Einsatz und sorgen für einen hinlänglichen "Grip". Selbstreinigung und Leichtlauf auch im schweren Gelände verstehen sich von selbst. Ein Reifen, der von einem firmen Biker bei jedem Untergrund gefahren werden kann und auch in einer schmäleren Ausführung für Trekkingräder erhältlich ist. Interessant ist übrigens das Kurvenverhalten solcher Semi-Slicks: Da sich die Fahrerlast nur auf wenige Stollen verteilt, drücken die sich in den Reifengrund ein. Das Fahrgefühl ist weniger "schwammig" wie bei voll profilierten Reifen.
Rein statistisch gesehen ereilt es den frischen Reifen früher als den abgelagerten, den lasch aufgepumpten Reifen häufiger als den prallgepumpten, schwerere Radler vermehrt gegenüber Leichtgewichten und das Hinterrad erfreulicherweise öfter als das Vorderrad. "Erfreulicherweise", weil selbst erfahrene Profis beim Versuch, das unkontrolliert seitlich ausbrechende Vorderrad zu bändigen, des öfteren zu Fall kommen. Darum den besseren Reifen stets auf´s Vorderrad.
So, damit hätten wir mit dem höheren Luftdruck und den abgelagerten Reifen zwar eine Hausnummer, doch was kann man sonst noch gegen den Platten tun?
1. Pannensichere Reifen kaufen: Unter ihren Protektor sind mehrere Gewebelagen geschichtet, was sich gegenüber verdickten Protektoren als besserer Schutz vor "Stichlingen" herausgestellt hat. Zudem ist es für den Leichtlauf positiver. Ist das Gewebe gar aus Kevlar, erhöht sich die pannensichernde Wirkung. Dito, wenn zwischen Protektor und Karkasse eine Einlage aus PU eingebracht ist.
2. Latex- oder PU-Schläuche fahren: Beide Materialien halten die Luft zwar weniger gut als Butyl-Schläuche, können aber ob ihrer größeren Elastizität und Zähigkeit spitzen Eindringlingen mehr Widerstand entgegensetzen.
3. Bei Luftdruck über 4 bar moderne Felgen mit ausgeprägteren Felgenhörnern erwerben: Sie stützen den Reifendraht und vermeiden so zuverlässig ein Abspringen des Reifendrahtes über die Felgenkante.
4. Bei Hohlkammerfelgen nur sichere Nippelbänder einlegen: Selbstklebende Bänder von Ritchey und Velox sowie PU-Bänder von Schwalbe. Hierbei bitte auf eine ausreichende Breite der Nippelbänder achten. Faustregel: Die Bänder müssen die Nippellöcher seitlich um mindestens 2 mm überlappen.
5. Bei der Reifenmontage Falten im Schlauch vermeiden: Unter Luftdruck gesetzt, schiebt sich nämlich eine dünne "Zunge" der Schlauchfalte weiter und weiter vor, bis sie, zu dünn geworden, platzt. Daher den Schlauch beim Einlegen immer ein bißchen "rundpumpen".
6. Keine Schlauchlöcherungen durch Montierhebel: Beim aufziehen des Reifens die mögliche Exentrizität zwischen Reifen und Felge ausnutzen und den Reifen ohne Hebel von Hand auflegen.
7. Den Protektor kontinuierlich nach Dornen, Glassplitterchen o.ä. absuchen und die Fremdkörper entfernen: Ihr Festsetzen ist meist der Anfang vom Ende, denn mit jeder Radumdrehung drücken sie sich tiefer und tiefer in den Reifen, um irgendwann den bis dato dichten Schlauch zu löchern.
8. Regelmäßig die Reifenflanken untersuchen: Sie sind dünn gehalten (Leichtlauf) und daher sehr sensibel. Entdecken Sie dort auch nur ein einziges loses Fädchen, kleben Sie es bitte postwendend wieder mit Gummilösung fest. Erst aufgefusselt, reißt ein um das andere Fädchen und ein Reifenknaller ist schon in Sicht.
9. Karkassenschäden bis zu vier durchgerissenen Fäden mit einem ausreichend volumigen, mehrfach mit Gummilösung eingestrichenen Leinenflicken abkleben, siehe Bildreihe: Beschädigten Reifen nicht mehr mit Höchst-Luftdruck fahren und keinesfalls mehr auf den Vorderreifen setzen.
10. Sicherheitsschläuche fahren: Sie sind mit Pannen-Gel gefüllt. In kleinen Löchern und Rissen fasert das Gel aus und dichtet das frisch entstandene Loch sofort wieder - meist, ohne daß es überhaupt bemerkt wird.
Schläuche kann man sich auch zuhause mit Pannen-Gel (OKO oder Castelli) füllen, vorausgesetzt, daß der Schlauch ein herausschraubbares Ventil hat. Bei Schwalbe auch für Rennventile (auch Sklaverrand oder französische Ventile genannt) zu erwerben. Mit dem Gel läßt sich ein Bastlerleben grundsätzlich einfacher gestalten und ein Loch ohne Reifendemontage dichten. Ist das Loch von vornherein zu lokalisieren, reichen 20 cm³, wenn das Loch beim Wiederaufpumpen nach unten gestellt wird.
Für "Schleicher" (die Luft entweicht über einen Zeitraum von mehr als einer halben Stunde) genügt das sogenannte Pannenspray, welches auch durch das Ventil hindurch einzubringen ist. Dabei sollte aber lediglich soviel Spray eingefüllt werden, bis der Reifen gut rund gefüllt ist. Daraufhin mit der Pumpe den gewünschten Luftdruck herstellen. Dabei werden gleich die Schaumreste aus dem Ventil geblasen und es verklebt nicht. In allen anderen Fällen muß der Schlauch weiterhin "nach guter alter Väter Sitte" geflickt werden.
Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH Christian Smolik 1994 -
03.08.1999
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH Jörg Bucher zuletzt am
24.08.1999