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Kapitel 11 Einspeichen

Das Einspeichen von Laufrädern ist für viele Radfahrer das sprichwörtliche "Buch mit den sieben Siegeln". Doch im Grunde genommen steckt dahinter weder ein großes Geheimnis, noch hat das irgendetwas mit Zauberei zu tun. Es genügt eigentlich schon, die Reihenfolge des Speicheneinfädelns von Anfang bis Ende einzuhalten sowie den jeweiligen Ort der Speichen in der Nabe und in der Felge festzulegen. Geht man dabei auch noch systematisch, das heißt nach einem bestimmten Vernetzungsplan, vor, kann normalerweise nichts schiefgehen. Ja, es ist geradezu ein schöpferischer Akt, aus einer Handvoll Speichen, der Nabe und der Felge ein stabiles Laufrad auf die Beine zu stellen.Bevor wir uns an die Arbeit machen, sollten wir vielleicht noch einige theoretische "Trockenübungen" absolvieren:

 

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Einspeicharten

1. Tangential-Einspeichung: Die Speichen verlaufen hierbei mehr oder weniger tangential zum Nabenflansch und überkreuzen sich dabei. Dazu sind die Speichen abwechselnd einmal mit dem Speichenkopf nach außen und einmal nach innen in die Nabe einzufädeln. Wird nun jede Speiche, deren Kopf nach innen weist, gleich von der Nachbarspeiche, deren Kopf wiederum nach außen zeigt, überkreuzt, so liegt eine Einfachkreuzung vor. Standard ist jedoch die Dreifachkreuzung. Hierbei kreuzt jede Speiche mit innenliegendem Kopf die jeweils dritte mit dem Kopf nach außen liegende Speiche. Würde man die Speichen durchnummerieren, so kreuzt sich also die Speiche Nr. 1 mit der Speiche Nr. 6, Nr. 3 mit 8, Nr. 5 mit 10 usw.

Bei 36, 40 und 48 Speichenlaufräder wird bisweilen vierfach gekreuzt. Die Speiche Nr. 1 kreuzt dann die Speiche Nr. 8, die Nr. 3 kreuzt Nr. 10 usw. Der Sinn der Sache: Bei 32 Speichen verlaufen die einzelnen Stahlstäbchen dann genau unter 90 Grad vom Nabenflansch zur Felge. so besitzen sie den größten Hebelarm und können daher das größtmögliche Drehmoment übertragen. Oder anders ausgedrückt: Sie werden vom den Antriebs- bzw. (bei Nabenbremsen) Verzögerungskräften am wenigsten belastet. Bei Laufrädern mit geringerer Speichenanzahl (28 oder 24) verkürzt sich der Helbearm wieder und zudem liegen die Speichen im Nabenflanschbereich übereinander. Das bedeutet erhöhte Speichenbruchgefahr, da die Speichen zum Teil nicht mehr eng am Nabenflansch anliegen. Hier empfiehlt sich auf jeden Fall die klassische Dreifachkreuzung.

Übrigens werden Einfach- und Zweifachkreuzungen selten und meist nur dann angewendet, wenn die entsprechende Speichenlänge nicht aufzutreiben ist, wenn Naben mit großen Flanschdurchmesser (z.B.14-Gang-Rohloffnabe) eingescheicht werden und/oder bei kleinen Felgengrößen. Am Vorderrad hat das keine Auswirkung in punkto Haltbarkeit, am Hinterrad hapert`s allerdings am übertragbaren Antriebsmoment.

Da die Speichen auf der Zahnkranzseite des Hinterrades zusätzlich zu den vertikalen und seitlich einwirkenden Kräften noch das Antriebsmoment übertragen, sind   bruchgefährdet. Besonders kritisch wird es für die Stahlstäbchen, wenn man im Wiegetritt fährt. Dann kann sich durch seitlich einwirkende Kräfte die Speichenspannung nahezu verdoppel. Etwas geringer wird diese Doppelbelastung wenn die von der Nabe nach hinten verlaufenden Zugspeichen mit dem Speichenbogen nach außen platziert werden. Ihre Speichenschräge vergrößert sich dadurch und die Belastungsintensität verringert sich.

2. Radial-Einspeichung: Die Speichen verlaufen radial und damit ungekreuzt von der Nabe zur Felge. Liegen dabei alle Speichenköpfe nach innen zu, soi läßt sich die größtmögliche Seitensteifigkeit für das Laufrad erreichen. Radiales Einspeichen ergibt optische und aerodynamische Vorteile und erleichtert das Laufradputzen, beansprucht jedoch die dafür nicht ausgelegten Nabenflansche (Flanschbrüche) über Gebühr. Wer mit dieser Einspeichart liebäugelt, besorgt sich am besten die dafür speziell konzipierten Tomo-Naben (Bezug: Fachhandel über Thomas Klimecky,Frankfurt/Main). Flanschbrüche lassen sich auch dadurch weitgehend vermeiden, indem man nur 24 und 28 Loch-Naben radial einspeicht und indem durch sorgfältige Sprühwachspflege der Kontakt- und Korngrenzen- Korrosion vorgebeugt wird.

3. Sondereinspeichung nach Kildemoes: Die Zahnkranzseite wird radial mit den Speichenköpfen nach innen eingespeicht, um eine optimale Seitensteifigkeit zu erzielen; gekreuzt wird nur die Gegenseite der Hinterradnabe. Dieses Verfahren sollte aber  bei ausgesprochen stabilen Naben angewendet werden, da das gesamte Antriebsmoment über das Nabenmittelteil läuft. Außerdem besteht wie bei der Radial-Einspeichung die Gefahr von Flanschausrissen. Obwohl vom Hersteller dafür nicht zugelassen, eignen sich die Campagnolo-Naben hierfür, da sie gegen die Flanschausrisse mit "reichlich Fleisch" oberhalb der Flanschlöcher versehen sind. 

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Speichenlängen

Erforderliche Speichenlängen kann man sich beim Händler erfragen, kann sie den Speichenlängen-Tabellen von Swiss Spokes entnehmen oder sie nach der Speichenformel errechnen. Alternativ dazu können Sie sich an die unten aufgeführten Faustwerte halten.

Rechnerische Ermittlung der Speichenlänge: Wurzel aus L = r1² + r2² + w² - 2r1 x r2 x cos ß minus -1/2 y

mit:

L = gesuchte Speichenlänge in mm

r1 = Halber Felgeninnendurchmesser in mm (1/2 Di)

r2 = Halber Lochkreisdurchmesser der Nabe in mm (1/2 D2)

w = Abstand Nabenflansch/Felgenmittelachse in mm (wl = linke Seite; wr = rechte Seite)

ß = 360° x Kreuzungsart/Speichenzahl pro Flansch

y = Speichenlochdurchmesser der Nabe in mm

So messen Sie das Felgenmaß "Di": Bremsinnenzug halbwegs stramm durch die Felge führen und Innenkante des aufgefädelten Speichennippels markieren. Dann Abstand auf Bowdenzug ausmessen und 10 mm (Nippel-Schaftlänge) hinzuzählen.

 

Faustformel für Speichenlängen

 

Einfache, auf etwa +/- 1 mm genaue Bestimmungsmethode für Speichenlängen bei Niederflanschnaben, die sich auf den halben Felgeninnendurchmesser (1/2Di) bezieht.

 

Speichenanzahl Kreuzungsart
2-fach 3-fach 4-fach
36 ½ Di - 14 ½ Di – 8,5 ½ Di – 2,5
32 ½ Di - 13 ½ Di - 6 ½ Di – 1,5
28 ½ Di - 12 ½ Di – 2,5 *
24 ½ Di – 10,5 ½ Di – 1,5 *
20 ½ Di – 8,5 * *

 

* Keine sinnvolle Kreuzungsart, da die Speichen über 90 Grad hinaus abgewinkelt werden und sich außerdem am Nabenflansch gegenseitig behindern

Anmerkungen:

1. Die Speichenlängen für die Zahnkranzseite ist bei 7fach Zahnkränzen um 1 mm bei 8- und 9fach-Kränzen um 1,5 mm kürzer. 2. Korrekturwerte für größeren oder kleineren Teilkreisdurchmesser.

  

Korrekturwerte pro 10 mm größeren oder kleineren Teilkreisdurchmesser:

 

Speichenanzahl Kreuzungsart
2-fach 3-fach 4-fach
36 3,6 2,2 0,5
32 3,3 1,6 0,4
28 2,8 0,8 *
24 2,1 0,4 *
20 1,4 * *

* Keine sinnvolle Kreuzungsart, da die Speichen über 90 Grad hinaus abgewinkelt werden und sich außerdem am Nabenflansch gegenseitig behindern

Anmerkung: Korrekturwerte bei größeren Teilkreisdurchmesser von der Speichenlänge abziehen, bei kleinerem Teilkreisdurchmesser entsprechend hinzuaddieren.

  

Als Richtwert für die Radialeinspeichung gilt: L = ½ Di – ½ Dflansch + 2,5

 

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Laufrad einspeichen

Normalerweise und speziell als Anfänger sollte man diese Krönung des Tüftelenthusiasmus vielleicht doch lieber dem Fachmann überlassen. Als Veloweltenbummler wird man dennoch über kurz oder lang Gelegenheit erhalten, sich einmal in dieser Kunst zu probieren — einmal ganz abgesehen davon, daß ein stabiles, perfekt rundes Laufrad selbst fabriziert zu haben, zu den schönsten Erfolgserlebnissen engagierter Technik-Greenhorns zählt...

Es wird die pärchenweise Einspeichmethode erläutert, bei der von Anfang an Ordnung und Übersicht herrscht. Die Anleitung bezieht sich auf den Normalfall der "3fach-Kreuzung" bei einem Laufrad mit 36 Speichen, von denen je 18 auf jeder Seite abwechselnd mit je 9 Speichenköpfen von innen und je 9 Speichenköpfen von außen in den Löchern des Nabenflansches sitzen. Als Beispiel dient das Hinterrad, weil auf der Zahnkranzseite die nach hinten verlaufenden Speichen neben der Seitenbelastung noch den Kettenzug aushalten und daher mit dem Bogen nach außen zeigen müssen (beim Vorderrad ist die Einspeichrichtung egal - auch bei Scheibenbremsen. Da niemand gleichzeitig bremst und einen Wiegetritt fährt, entfällt die Doppelbelastung für die Zugspeichen).

Tip: Anfangs ist es ratsam die Speichen  fortlaufend links herum mit einem aufgeklebten Fähnchen zu nummerieren.

1. In den zahnkranzseitigen Nabenflansch 9 Speichen mit je 1 Loch Zwischenraum von innen nach außen einfädeln — dann nochmal 9 von außen nach innen.

2. Von der Zahnkranzseite aus die Nabebetrachtend gehen Sie nun wie folgt vor: Eine Speiche mit Kopf nach innen (von Ihnen weg also) nach links abwinkeln. Das ist Speiche Nr. 1.

3. Nun zählen Sie nach links fünf Speichen ab – bis Nr. 6 also (Kopf nach außen – und winkeln diese über Speiche Nr. 1 nach rechts ab. 

4. Sie wird in das links vom Ventilloch liegende Felgenloch gesteckt und vernippelt. Speiche Nr. 1 kommt ins übernächste Felgenloch, dem dritten vom Ventil aus gesehen - auch hier den Nippel einige Umdrehungen aufschrauben.

5. Das nächste Pärchen aus den jeweils übernächsten Speichen nach links bilden – es sind nach links gesehen die fortlaufenden Nr. 3 und Nr. 8. Sie werden in die jeweils übernächsten Felgenlöcher gesteckt und mit Nippeln fixiert. 

6. Restliche Speichenpaare auf diese Weise bilden. Nach der Hälfte des Kreises geht es schneller, die Nippel mit einem kleinen Schraubenzieher aufzuschrauben.

7. Kontrolle: Nach rechts weisende Speichen kreuzen immer über nach links weisende.

8. Das einseitig eingespeichte Rad umdrehen und senkrecht unter dem Ventilloch Speiche von außen über die Kreuzungsstelle der Zahnkranzseite in den unbestückten Flansch einfädeln (der Speichenkopf liegt also außen) und markieren.

9. In übernächstes Flanschloch wieder Speiche von außen einfädeln und so fort - immer ein Loch Abstand —, dann die  9 Gegenspeichen von der Zahnkranzseite her (Kopf nach innen) einfädeln.

10. Die übernächste Nachbarin der markierten Speiche nach rechts zu (Ihr Kopf liegt außen) ist die Nr. 1 der Gegenseite. Sie wird nach links abgewinkelt und wie auf der ersten Seiten mit der Speichen Nr. 6 der Gegenseite (ihr Kopf liegt innen) unterkreuzt.

11. Der Platz von Speiche Nr. 6 dieser Gegenseite ist dann links vom Ventilloch in das freie Felgenloch einzufädeln, Speiche Nr. 1 kommt ins übernächste Loch weiter nach links zu.

12. Beide mit Nippel fixieren und dem nächsten Pärchen (Speichen Nr. 3 und 8 der Gegenseite linksherum fortfahren - bis die letzte Speiche ein letztes freies Speichenloch findet.

13. Kontrolle: Unter dem Ventilloch stehen die Speichen fast parallel und lassen so Platz für die Luftpumpe. Die Zugspeichen auf der Zahnkranzseite sitzen mit dem kopf nach innen im Nabenflansch und sind nach links abgewineklt. Speichen mit dem kopf nach außen liegen an Kreuzungsstelle immer obenauf.

 

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Tips

1. Fetten Sie bei ungeösten Felgen (vor allem Tropfenfelgen) die Speichennippel leicht am Schaft und Kopf ein. So vermeiden Sie ein Klemmen oder "Fressen" der Nippel beim Eindrehen.

2. Verwenden Sie möglichst (vor allem bei Alu-Nippel) einen Nippelschlüssel, der über drei Ecken faßt, um die Vierkantfläche der Nippel nicht vorzeitig zu überdrehen.

3. Wechseln Sie lediglich die Felge  aus, so stellen Sie die neue Felge neben das Laufrad und "holen" die Speichen nacheinander "rüber". Oder: Fixieren Sie die Speichen mit Isolierband an den Kreuzungsstellen.

4. "Recken" Sie Ihr Laufrad nach dem Zentrieren: Dazu Laufrad auf Boden legen und ringsum gerade so fest Richtung Boden drücken, bis sich die unteren Speichen entlasten. So "setzen" sich Nippel und Ösen; ein Nachzentrieren wird so weitgehend überflüssig.

5. Lassen Sie jeweils ein Tröpfchen Schraubenkleber "mittelfest" in den Spalt zwischen Speiche und Nippel einziehen - das sichert die Speichen gegen selbständiges Lösen.


Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH Christian Smolik 1994 - 03.08.1999
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH Jörg Bucher zuletzt am 24.08.1999