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Kapitel 13 Sattel
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Schon immer hatte das Radfahren so seine "wunden Punkte" und schon immer war der hintere Kontaktpunkt zum Fahrrad, der Sattel, eine sehr persönliche und individuelle Angelegenheit. Wenn der Radler X auf den Sattel Y schwört, so kann der gleiche Sattel für den Pedaleur Z zum Materinstrument avancieren.
Damals wie heute unterbreitet der sogenannte Kernledersattel einen hervorragenden Sitzkomfort. Sein Aufbau: Über ein Stahl-Sattelgestell ist eine dicke, steife Lederdecke wie eine Art Hängematte gespannt. Die Lederdecke paßt sich nach und nach der "Geometrie im Sitzbereich" des jeweiligen Radler an und gibt zusammen mit dem Stahlgestell bei derben Fahrbahnstöße bis gut zwei Zentimeter nach. Nicht minder wichtig ist eine andere Eigenschaft der gespannten Lederdecke: Sie schwingt bei den Trittbewegungen des Radfahrers mit und vermeidet so sehr zuverlässig das Wundreiben auf dem Sattel. Grund genug für Sitzgeplagte seit nunmehr fast 100 Jahren zu diesem Satteltypen zu greifen.
Bevor es aber so weit ist, muß außer der in Bildern vorgestellten Einfettungskur auch noch das "Einreiten" statt finden. Erst nach vielen hundert Kilometern haben sich Satteldecke und Sitzbereich aufeinander eingestellt. Doch der Kult mit den "Kernigen" geht noch weiter: Beständig muß er nachgespannt und neu gefettet werden und ist zudem von Sonne und Regen zu schützen, von stets fettigen Hosen-Bereichen einmal ganz abgesehen. Störend wirkte sich auch das hohe Gewicht der Oldtimer aus. Doch neuerdings bietet Brooks mit dem "Swift" einen modernen Kernledersattel mit Titangestell an, der es auf ganze 360 Gramm bringt. Vielleicht verhilft das dem "Kernigen" zu einem Comeback.
Leichter und in der Pflege nahezu anspruchslos sind moderne Kunststoff-Sättel. Auch sie besitzen ein Sattelgestell. Die Nachspann-Einrichtung entfällt, da sich die Kunststoff-Decke auch über größere Zeiträume hinweg nur minimal dehnt. Leider wurde die Decke bislang kräftig überdimensioniert, so daß sie nicht den federnden Effekt des Leders besaß. Dafür polstert man die Satteloberfläche oder versucht sich mit Gel-Einlagen, um punktuelle Belastungen großflächig zu verteilen. So angenehm wie das für den Augenblick auch sein mag, auf langen Touren kann sich Polster oder Gel nachteilig auswirken: Die heilige Region "versinkt" in diesen Sattelauflagen und via Tretbewegungen reibt man sich früher wund.
1990 revolutionierte der"Flite" von Selle Italia den Sattelmarkt. Er ist sozusagen ein ab Werk getunter Sattel und besticht Dank Titangestell und abgemagerter Satteldecke nebst Polsterung nicht nur durch sein sagenhaft niedriges Gewicht (um 2oo Gramm), sondern besitzt auch eine leicht mitfedernde Satteldecke. Der Riesenerfolg dieses Sattels, trotz seines saftigen Preises von 190 DM, verdeutlicht wie wichtig den Radlern der hintere Kontaktpunkt zum Velo ist. Heute hat nahezu jeder Hersteller so einen "Flite"-Verschnitt im Programm und einige Anbieter offerieren ihn teilweise zu Preisen unter DM 60,-. Nur hinsichtlich Sitzbequemlichkeit müssen Sie auf der Hut sein: Teilweise wird da nämlich das Titan-Gestell verkürzt, endet genau unter dem Hauptsitzbereich und martert die Sitzknochen.
Wie oben angedeutet, gilt nicht eines für alle. Trotzdem läßt sich eine gewisse Zuordnung von Sattel- und Radfahrertypen vornehmen: Kilometerfressende Amateure und Profis, aber auch gute Sportradler, legen beim Sattel großen Wert auf eine verschleißfeste Oberdecke, eine gewisse Griffigkeit der Satteloberfläche (der Allerwerteste lenkt ja bekanntlich etwas mit) sowie auf die Möglichkeit, je nach Fahrsituation den Sattel auf einer Länge von gut 10 cm benutzen zu können. Dies erfordert einen langen und schlanken Sattel (Sattelform "Rolls" oder "Turbo"). An die Polsterung stellen sie im allgemeinen weniger hohe Ansprüche. Das betroffene Körperteil ist längst an den sitzenden Sport gewöhnt und wird durch hohen Pedaldruck und die weit nach vorn geneigte Haltung noch entlastet.
Völlig anders verhält sich die Sache beim Freizeit-Velozipedisten. Sein Pedaldruck ist geringer, er sitzt aufrechter auf dem Rad und belastet demnach speziell das hintere Drittel des Sattels. Ferner gehört er zu den "Sitzenbleibern", will heißen, im großen und ganzen fährt er in ein und der selben Sitzstellung, variiert also kaum seine Sattelposition. Er benötigt deshalb eine gute Druckverteilung mittels Polsterung, Gel, eine anpassungsfähige Satteldecke sowie eine geringfügig breitere Sattellehne (Satteltyp "Regal"). Derartige Sitzmöbel sind in der Regel recht bequem. Bei Strecken oberhalb 100 Kilometer ist jedoch schon ein gewisser Gerbzustand des Allerwertesten vonnöten, um vor Beschwerden (Wundreiben) gefeit zu sein.
Frauen, die sich in ihrer Freizeit auf das Rad schwingen, achten mehrheitlich auf eine breitere Sattellehne, auf ausreichende Ausstaffierung und auf eine gekürzte Gesamtlänge. Ihr Pedaldruck ist überwiegend in den unteren Bereichen anzusiedeln. Demnach ist auch für die holde Weiblichkeit eine entsprechende Druckverteilung von entscheidender Bedeutung. Sinnvoll erscheint da allenfalls der Satteltyp "Regal", besser bedient sind die Damen mit einem Lady-Sattel. Auf Rennfahrerinnen trifft dies nicht zu: Sie powern ja mittlerweile den Freizeitradlern davon. Von einem geringen Pedaldruck kann hier wohl kaum die Rede sein. Desgleichen passen sie ihre Sitzposition - wie ihre männlichen Kollegen - dem jeweiligen Renngeschehen an, beanspruchen also ebenfalls rund 10 cm Spielraum in der Sattellänge. Ein Großteil von ihnen greift daher ohnehin zum Männer-Rennsattel, obwohl die anatomischen Gegebenheiten eher dagegen sprechen.
Großgeratene Radler möchten den Untersatz verständlicherweise bis zum Äußersten zurücksetzen. Steht die Sattelstütze bereits auf Anschlag können Sättel mit weiter nach vorn gezogenen Parallelbereich des Sattelgestelles noch ein bis zwei Zentimer herauskitzeln.
1. Titan-Gestelle bringen neben einem leicht verbesserten Feder-Komfort noch 60 bis 70 Gramm Gewichtsersparnis (je nach Länge des Gestells).
2. Just den gleichen Gewichtsvorteile erreichen Gestelle, die aus Stahlrohren gefertigt sind (Durchmesser 7 mm, Wandstärke 1 mm).
3. Mit Kürzungen erreichen die Hersteller weitere Gewichtsreduzierungen und eine höhere Belastbarkeit des Gestelles. Bedauerlicherweise leidet darunter die Federwirkung der Sättel, insbesondere, wenn das Gestell im Sitzbereich endet.
4. Variationen in der Sattelgeometrie sind durchaus sinnvoll, kommen sie doch den individuellen Sitzgewohnheiten der Radler entgegen. Beispiel: Der hinten breite "Regal" für den vorwiegend hinten sitzenden Radler.
5. Der für einen Sattel mit Titan-Gestell geforderte Mehrpreis liegt derzeit noch deutlich über den "reellen" Zusatzkosten (in der Herstellung circa DM 12,-).
6. Bergspezialisten und solche, die ihren Sattel weit zurücksetzen, treten das Pedal "schiebend" herunter. Für sie ist der Satteltyp "Concor" (ausgeprägte Sattellehne) am zweckmäßigsten.
Ursache für Sitzbeschwerden ist häufig der mit zunehmender Erschöpfung schwächer werdende Pedaldruck. Dann sitzt man einfach schwerer im Sattel und das drückt natürlich. Daher:
1. Nehmen Sie schon vom ersten Radelkilometer an jede Gelegenheit wahr, um aus dem Sattel zu gehen. Kurze Steigungen also im Wiegetritt nehmen, bei Bahnübergängen oder Schlaglöcher die Stöße nicht ausreiten, sondern vom Sattel ablupfen und die Unebenheiten mit den Beinen ausfedern.
2. Auf Strecken über hundert Kilometer Länge langsam hinarbeiten. Wer "keine Körner" mehr hat, läßt nur "die Beine fallen". Kein Druck auf dem Pedal - viel Druck auf dem Sattel.
3. Auch bei neuen Kunststoffsätteln nicht gleich mit der großen Runde beginnen, und auch nicht sofort Tag um Tag damit Fahren. Zwei Tage Pause zwischen den ersten und zweiten "Ritt" geben dem Sitzbereich Gelegenheit sich auf die neuen Sitzbegebenheiten einzustellen.
4. Radler mit empfindlichen Dammbereich sollten die Sattelspitze etwas senken. so wir die Belastung mehr auf die restlichen "Kontaktstellen" verteilt.
5. Radler mit schnell reizbaren Sitzknochen umgekehrt die Sattelspitze leicht anheben. Oder - einen Damensattel fahren. Wenn das nun auch innerhalb der Clubs für regelmäßige Sticheleien sorgt, so ist das noch immer besser, als ein Radlerkollege, der Unterwegs nur "ein Gesprächsthema" hat und ständig mit Abkürzungsvorschlägen kommt, um sein Leiden in Grenzen zu halten.
Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH Christian Smolik 1994 -
03.08.1999
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH Jörg Bucher zuletzt am
24.08.1999