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Kapitel 10 Speichen

Aus einem labilen Aluminium-Rund, einer Handvoll Speichen und einer Nabe - zusammen mal gerade ein Kilo schwer - "zaubert" sich ein filigranes Laufrad, welches sogar ein Pferd tragen könnte. Der simple Zaubertrick ist den Technikern unter dem Namen Vorspannung bekannt. Dennoch mutet der Faktor 500 bis 1.000 zwischen Eigengewicht und Traglast immer wieder wie ein kleines Wunder an...

Hintergrund-Informationen: Jede Speiche will die Felge zur Nabe herunterziehen. Da dies alle wollen, schafft es keine. Sauber auszentriert und dann im wahrsten Sinne des Wortes spannungsgeladen, "schwebt" die Felge zentrisch über der Nabe. Von außen einwirkende Kräfte arbeiten Nabe, Felge und Speichen im Teamwork entgegen - die Lasten werden aufgeteilt, jedes Element muß nur einen Teil des Ganzen tragen. Genauer: Die Fahrerlast (bei Fahrbahnunebenheiten sogar ein Vielfaches davon) drückt die Felge im Kontaktbereich mit dem Untergrund etwas "platt", was drei bis fünf Speichen entlastet. Unser spannungsgeladenes Laufrad stellt nun mehr oder weniger automatisch die kleine Störung des Kräfte-Gleichgewichts wieder her, in dem alle anderen Speichen ein bißchen stärker belastet werden.

Zur Verdeutlichung ein Zahlenbeispiel: Belastet man ein Hinterrad mit einer Krafteinwirkung von 1.000 Newton, (entspricht einer Gewichtsbelastung von 100 Kilogramm), werden fünf Speichen um ca. je 200 Newton entlastet. Beim 36- Speichenrad sorgen die restlichen 31 Speichen für den Ausgleich, wobei jede Speiche mal gerade 32 Newton Mehrbelastung aufgebürdet bekommt. Ein im Grunde genommen lächerlicher Betrag, da die Speichen ja mit rund 500 bis 900 Newton vorgespannt sind und jede einzelne im Extremfall Zugkräfte bis 2.500 Newton aushalten könnte. In Wirklichkeit ist das System Laufrad natürlich komplexer. Doch unsere Zahlenabfolge trägt hoffentlich zum besseren Verständnis bei, was die außergewöhnliche Belastbarkeit sowie die laufend wechselnde Speichenbelastung anbelangt.

36 Speichen-Laufräder sind die Norm, aber nicht das Maß aller Dinge. Durch weniger Speichen spart man zum einen etwas Gewicht und verbessert zum anderen die Windschnittigkeit der Laufräder. Peinlich nur, daß zumindest bei 28 Zoll- Laufrädern mit reduzierter Speichenanzahl die Speichenbruchgefahr noch weiter zunimmt. Weshalb diese Laufrad-Korrektur lediglich bei Fliegengewichten oder bei den ohnehin stabileren 26 Zoll- Laufrädern vorgenommen werden sollte.

Rücken wir der Realität näher auf den Pelz, indem wir das Laufrad nicht als starre, sonders als elastische Gestalt betrachten. Die Abplattung von Reifen und Felge nimmt Stößen bei Bodenwellen größtenteils ihre Wucht und sorgt damit für einen angenehmeren Fahrkomfort. Auch die Speichen werden hier zu Mitarbeitern: Infolge der Zugbelastungen "längen" sie sich geringfügig und lassen die Nabe ein Stück weit aus der Radmitte zur Straße hin "abtauchen". Das gelingt ihnen um so besser, desto dünner sie sind. Andererseits sind dicke Speichen widerstandsfähiger.

 

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Schwachpunkt Bogen

 

Dieser Sachverhalt ist speziell im Zusammenhang mit dem kritischen Speichenquerschnitt, der im Speichenbogen liegt, von Interesse. Dort muß die Kraft schließlich "um die Ecke" geleitet werden und die "Innenbahn" sieht sich mit weit höheren Belastungen konfrontiert, als die "Außenbahn". Welcher Radler, vor allem der mit 28 Zoll-Laufrädern, kennt nicht das vertraute "Pling", mit dem Speichen ihren Geist aufgeben. Zerrüttet von den ewigen Be- und Entlastungen entzweien sich die Stahlstäbchen besonders gern am Speichenbogen. Dort setzt auch der Herstellungsprozeß dieser Speichenstelle zu. Zum Anstauchen des Speichenkopfes wird das untere Speichenende derart hart "in die Zange genommen", daß bei manchen Speichen ein kleiner Grad oder Absatz erkennbar ist. Ausgerechnet an dieser Position wird dann noch annähernd rechtwinklig der Speichenbogen angebracht. Unter der Lupe erkennen Sie die dabei auftretende, typisch körnige Oberfläche. Ausgehend von deren Vertiefungen arbeiten sich im Fahrbetrieb nun winzigste Risse in die Tiefe des Bogenmaterials ein und eines schönen Tages reißt die Speiche dort durch. Eine Verbesserung bringt hier die Politur von Johannes Rödel, die im Bogen die körnige Oberfläche wieder glättet. Zu beachten ist auch Naben, die nach dem Vorbild der Pulstar-Nabe ohne Speichenbögen auskommt.

Eine zweite Schwachstelle befindet sich aufgrund der Kerbwirkung im Gewindeteil der Speichen. Die Speichenmitte hingegen wird symmetrisch belastet und kann deshalb aus Elastizitätsgründen abgespeckt, sprich die Speiche an dieser Stelle dünner gestaltet werden. Solche Speichen laufen in der Branche unter der Bezeichnung Doppel-Dickend-Speichen (abgekürzt: DD-Speichen). Sie erfreuen sich sogar einer höheren Dauerschwingfestigkeit, als Speichen mit einem durchgehenden Durchmesser.

Je elastischer die Speichen nämlich sind, um so gleichmäßiger teilen sie sich die Belastungen auf und entsprechend geringer fallen die Lastspitzen für die einzelnen Speichen aus. Dito bei stramm vorgespannten Laufrädern, wobei sich bei ihnen obendrein die Spurtreue optimiert und das selbständige Nippellockern zurückgeht. Allerdings geht das auf Kosten des Fahrkomforts. Die Felge muß jedoch für eine hohe Speichenspannung ausgelegt sein, sonst kann sie "kollabieren". Bei kleinsten seitlichen Belastungen springen leichte und zu hoch vorgespannte Felgen in eine Art "Kartoffelchip"-Form um. Auch hierzu ein paar Zahlen: Wird jede der 36 Speichen mit beispielsweise 900 Newton vorgespannt, summieren sich für die Felge diese Vorspannkräfte = 36 mal 900 macht satte 32.400 Newton, was einer Gewichtsbelastung von mehr als drei Tonnen gleichkommt. Um die "wegstecken" zu können, muß die Felge mindestens 400 Gramm wiegen, sonst gerät sie in den Fließbereich, verformt sich plastisch.

 

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Speichenarten

Aus der Fülle von Angeboten gilt es nun, die für sich geeignetsten Speichen herauszufischen. Grundsätzlich geht alles. Sinnvoll aber für Pedalisten, die über 75 Kilogramm auf die Waage bringen, sind DD-Speichen mit einer Dicke von zwei Millimetern an Bogen und Gewinde und von 1,8, besser noch 1,6 mm in der Speichenmitte. Leichtere Radler können 1,8/1,6 mm-Speichen fahren. Ein "strammer Recke" von über 100 Kilogramm sollte von vornherein mit den sogenannten 3 D-Speichen liebäugeln. Sie verfügen im Speichenbogen über einen Durchmesser von satten 2,3 Millimetern, am Gewinde über 2,0   und in der Speichenmitte über 1,8 Millimeter. Trotz Höchstbelastung bleibt noch ausreichend Elastizität bewahrt. Sie wissen ja: Fahrkomfort und Lebensdauer...

Wie überall, befinden sich auch Speichenmaterialien und Speichenform in einem permanenten Experimentierstadium. So offerieren einige Händler Speichen aus Titan, die abgesehen von einer Gewichtseinsparung das Laufrad auch komfortabler machen (Titan verformt sich bei gleicher Belastung doppelt so stark wie Stahl). Titan-Speichen "kranken" andererseits an der im Vergleich zu Stahl momentan noch kürzeren Lebensfrist. Doch renommierte europäische Speichenfirmen sind an diesem wunden Punkt dran. Carbon-Speichen - auch daran wird getüftelt - können zwar in puncto Gewichtsabnahme mithalten, in Sachen Fahrkomfort sind sie aber einwandfrei im Nachteil. Letzten Endes sind noch gewellte Speichen im Handel, die wie eine Feder wirken und ohne Komforteinbußen eine Luftdruckerhöhung von 0,7 bar gestatten, womit der gefürchtete "Schlangenbiß", der Durchschlag, seinen Schrecken verliert. In die gleiche Kerbe schlagen die Spox Speichen von Spinergy. Hier werden elastische Vectran-Fasern von einer Kunststoffummantelung gebündelt und mit Spezial Nippel und Naben eingespeicht. Das Fahrverhalten dieser Laufräder ist nahezu identisch mit den Wellenspeichen.

Z-Speichen (Hersteller Rödel/Nürnberg) besitzen statt einem Speichenkopf besitzen sie nur eine Zick/Zack-Biegung. Vordergründig für seine Messerspeichen konzipiert (die Nabe muß dann nicht mehr zum Durchführen der breiten Speichenmitte aufgeschlitzt werden), zeigte sich in der Praxis alsbald eine drastische reduzierte Bruchrate. Die Speichen-Biegungen erfolgen nicht mehr wie bei den Normalspeichen in einem Bereich, der durch das Anstauchen des Kopfes bereits vorbelastet ist. Außerdem sorgt Rödels Vorrichtung via polierter Biegestempel für eine äußerst glatte Oberfläche in den Bögen. Angenehmer Nebeneffekt: Ein Speichenwechsel hinter dem Zahnkranz ist bei den "Kopflosen" ohne Demontage möglich.

 

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Kampf dem Speichenbruch

Förmlich speichenmordend sind dünne Nabenflansche oder zu große Speichenbohrungen im Flansch. Durch die unter Zug gesetzten Speichen zieht sich der Speichenbogen wieder auf, biegt sich folglich zurück und wir haben einen ähnlichen Fall wie der Bastler, der einen verbogenen Schraubenzieher wieder geradebiegen will: Im verbogenen Zustand durchaus belastungsfähig, bricht das Werkzeug beim Zurückbiegen ab. Vor allem "Schwergewichtler" sollten diesbezüglich auf entsprechend dicke Naben-Flansche (mindestens 3, besser 3,2 Millimeter breit) Wert legen. Als Alternative können auch M3 unterlegscheiben vor den speihenkopf platziert werden, die so den Nabenflansch "quasi verdicken".

Wirkungsvol begegnet man dem Speichenbruch auch durch einen intervallmäßigen Speichenwechsel, vor allem beim Hinterrad. In erster Linie an die Adresse gewichtiger Velo-Freunde, die 28 Zoll Laufräder fahren: Alle 5.000 Kilometer Speichenaustausch. Personen um die 70 Kilogramm können es  8.000 Kilometer werden lassen und auf dem Vorderrad 15.000 Kilometer.

 

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Laufräder nachzentireren

 

Eine unschöne Eigenart der Speichen tritt zutage, wenn sich Speichen lockern, das Laufrad schwammig wird oder einen Seitenschlag bekommt. Die Ursachen: Die Speichen ziehen sich im Bogen minimal auf, was praktisch einer Längung der Speichen gleichkommt. Nippel und Speichen "setzen" sich, arbeiten sich quasi etwas ins Material von Felge und Nabenflansch ein. Die Nippel lockern sich selbständig, da das Speichengewinde eine relativ große Steigung aufweist, wie in der Abbildung zu sehen (Vergleich mit M 2-Schraube).

Gelockerte Speichen oder Laufräder mit Seitenschlägen müssen nachzentriert werden, damit das Bike besser spurt, die Felge wieder rund läuft und das Speichen-Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Da sich Speichen wohl nicht von allein festziehen, gilt als oberste Regel für das Nachzentrieren: Speichen festziehen, nicht noch weiter lockern.

 


Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH Christian Smolik 1994 - 03.08.1999
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH Jörg Bucher zuletzt am 24.08.1999