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Kapitel 22: Richtig
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Bekanntlich wurden dem Rad-Freund durch das neue Produkthaftungsgesetz erweiterte Rechte zugesprochen. Beklagt er an seinem Sportgerät beispielsweise Rahmenverzug, Rohrbruch, abgeblätterten Lack oder schlechte Verarbeitung, dann möchte er als Geschädigter die anstehenden Reparatur-Kosten natürlich am liebsten auf einen anderen abwälzen. Nach dem Produkthaftungsgesetz könnte er sich dazu nun eine der direkt beteiligten Firmen aus der Kette zwischen Hersteller und Verkäufer herauspicken - bei einem Ausfaller-Defekt also etwa den Rahmenhersteller, den Importeur, Groß- oder Fachhändler.
Doch in Fall des Falles heißt es richtig vorgehen: Glauben Sie mir, es bringt nichts, nun etwa laut schreiend und wild gestikulierend den Laden zu stürmen. Die dabei häufig unbedacht im Ärger ausgestoßenen Unterstellungen oder gar Beleidigungen führen dann ziemlich sicher zur "Scheidung" zwischen Fahrradhändler und seinem Kunden. Und die ist, um im Bild zu bleiben, nicht billig - schließlich obliegt dem Geschädigten die Beweisführung! Man kann sich denken, daß die dazu notwendigen Gutachten nicht gerade billig sind; ganz abgesehen von der Zeit, die über so eine Rechtsangelegenheit verstreicht. Am Ende zahlt obendrein dann häufig der Geschädigte drauf - selbst wenn seine Ansprüche begründet sind und anerkannt werden. Im Kampf gegen die Industrie ist der "finanzielle Arm" des Konsumenten eben leider oft zu kurz.
Lassen Sie sich also schon beim Kauf nicht von Wortgeklingel wie "lebenslanger Garantie" oder ähnlichen Lockrufen verleiten. Juristisch gesehen kann da nämlich nur das "Leben" des Rahmens gemeint sein, und wenn das vorbei ist, erlischt - oh, Verzeihung - leider auch die Garantie... Mehr noch, Ihr Anspruch ist bereits wertlos, wenn "Gewalteinwirkung" die tritt genaugenommen beim ersten Sturz ein - auf das Velo festzustellen ist. Und solche Material-Belastungen sind im Streitfall fast immer nachweisbar.
Am besten gehen wir mal einige mögliche Schadensfälle durch und legen dazu einen Marschplan für sinnvolles Vorgehen fest.
Da Velo-Lackierungen normalerweise überaus schlagfest sind, liegt hier sicherlich ein Produktions-Ausrutscher vor. Dennoch, häufig kommt auch der Käufer nicht ungeschoren davon - das Zerlegen des Rades, das Einschicken, vielleicht sogar monatelanges Warten auf die Neulackierung nehmen viel Zeit in Anspruch. Vielleicht ist es daher sinnvoller, mit dem Händler auf Goodwill-Ebene einen Preisnachlaß auszuhandeln und die anstehende Neulackierung im Winter, also in der Pedalier-Pause, nachzuholen.
Sind Rahmenrohre erkennbar verbogen oder gestaucht, wenn Sie zum Akt des Reklamierens schreiten, so liegt ganz augenscheinlich "Gewaltanwendung" vor. Hier Ansprüche zu stellen, ist wenig sinnvoll - jeder Gutachter wird die Schuld beim Kunden suchen. Sollten hingegen in der Nähe von Muffen oder Anlötteilen Risse an unverbogenen Rohren entstanden sein, so kann man auf Material oder Lötfehler schließen (mehr dazu in diesem Heft: Last und Lust des Lötens, S. 6B). Bei derart glasklarer Beweislage ist es nun möglich, den Ersatz-Anspruch mit offenkundig "unsachgemäßer Lötweise" zu begründen. Ein kostspieliges Gutachten wäre in diesem Fall überflüssig. Außerdem: Wenn ein Fabrikationsfehler so klar auf der Hand liegt, wird sicher auch der Händler "die Sache" schnell und kulant aus der Welt schaffen wollen.
Hier war gewiß wieder "Gewaltanwendung" im Spiel, denn allein durch die auftretenden Brems-Kräfte kann eine Velo-Forke nur in den allerseltensten Fällen (Resonanz-Schwingungen bei flachem Steuerwinkel) dauerhaft verbogen werden. Kurzum: Diesen Schaden tragen Sie besser selbst - zumal dann, wenn ein Sturz oder Auffahr-Unfall vorausgegangen ist.
Nur ganz selten brechen beide Gabelbeine gleichzeitig. Außerdem macht sich eine angerissene Gabelscheide schon eine Zeitlang vor dem endgültigen Exitus durch penetrantes Knacken bemerkbar. Liegt keine sichtbare Gewalteinwirkung vor, kann solch ein Schadensfall wohl auf den Hersteller abgewälzt werden. Bei brachial gebrochenem Gabelschaftrohr aber deuten Verbiegungen erneut auf das Wirken von äußerer Gewalt hin. Ebenso kann diese bei einem kerzengeraden Bruch-Schaft nicht ausgeschlossen werden. Solch ein Forken-Fauxpas kann allerdings genauso zu Lasten des Produzenten gehen: Der nämlich könnte mit zu hoher Löttemperatur gearbeitet haben.
Steuerrohr, Tretlagergehäuse oder Ausfallenden sind schief eingebaut oder wackeln. Gerade zu Zeiten des andauernden Rad-Booms nehmen solche Fälle zu: Ein paar Hersteller ersparen sich hier wohl die gründliche Nachbearbeitung und Kontrolle, um diese den Händlern zu überlassen. Das aber geht nicht immer gut, denn so mancher Vertreiber wird dadurch überfordert - entweder fehlt ihm die Ausrüstung oder die entsprechende Ausbildung, um das "Schluder-Bike" auch wirklich einwandfrei an seinen Kunden zu übergeben. Wenn das Recht in solchen Fällen auch auf der Seite des Kunden liegt, sollten Sie als Betroffener hier dennoch mit diplomatischem Geschick vorgehen. Sonst nämlich kann es sein, daß sich Ihr Velo mitten in der Radsaison auf einer langandauernden Reparatur-Reise befindet...
Gleich nach dem Erkennen eines Schadens sollte man zum Händler gehen und die Angelegenheit mit ihm möglichst schriftlich festhalten. Ausschließlich mündlich getroffene Aussagen oder Abmachungen sind hinterher nur schwer zu beweisen, Ein datiertes Schriftstück über den entsprechenden Sachverhalt macht den Schadensfall hingegen sozusagen "aktenkundig".
Bleiben Sie ehrlich! Andere übers Ohr hauen zu wollen, verschafft nur einen kurzzeitigen Vorteil. Händler halten Kontakt untereinander, sie kennen die Schlitzohren in der Kundenschar sehr wohl.
Auch wenn's an Ihren Geldbeutel geht - versuchen Sie sachlich zu bleiben. Dadurch kann die Glaubwürdigkeit Ihres Reklamationsanspruches nur steigen.
Sprechen Sie mit dem Händler durch, bei welchem Glied der Haftungskette Ihr Anspruch an der richtigen Adresse ist!
Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH Christian Smolik 1994 -
03.08.1999
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH Jörg Bucher zuletzt am
24.08.1999