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Kapitel 9 Felgen
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Naßbremsverhalten, Umweltbelange, neue Profilformen alles Dinge, die längst in die heutige Felgen-Produktion eingeflossen sind und diese maßgeblich beeinflussen. Folglich sollte der Radler, bevor er zum Felgenkauf losmarschiert oder zum Nippelschlüssel greift, sich einige Gedanken über Anforderungen und Eigenschaften der Felgen machen. Besondes seitensteif, vertikal jedoch etwas nachgibig: Das wären anzustrebenden Laufradideale, da die Seitensteifigkeit das Spurverhalten der Fahrräder mitbestimmt und vor Seitenschlägen schützt, die vertiakle Nachgibigkeit dem Fahrkomfort zugute kommt. Dreh- und Angelpunkt hierfür ist die Felge. Im Verbund mit Speichen und Nabe muß versucht werden, dem Ideal möglichst nahe zu kommen. Die Mittel hierzu:
Erst von den Speichen unter Spannung gesetzt, wird die an sich labile Felge zu einem tragfähigen Gebilde. Setzt man eine Vorspannung der einzelnen Speiche mit 500 bis 1000 Newton an, zerren in einem 36 Speichen-Laufrad dann bereits 18.000 bis 36.000 Newton an dem Alu-Rund. Wenn das nun bereits eine gewisse Festigkeit von der Felge abverlangt, so versetzt sie doch gerade diese Vorspannung in die Lage mit Lasten fertig zu werden, die ihr Eigengewicht um den Faktor 1000 übersteigt. Das Geheimnis dieser enormen Tragfähigkeit nun liegt in der kollegialen Lastverteilung unter den Speichen. Wird nämlich das Laufrad als ganzes belastet, so verformt sich zunächst die Felge im Bereich des Aufstandspunktes auf dem Boden. Dabei werden je nach Last, Speichen-Vorpannung und Felgensteifigkeit drei bis sieben Speichen entlastet, was dann alle übrigens Speichen als Mehrlast aufgebürdet bekommen.
Durch die 55 bis 75 mm weit auseinander liegenden Flansche der Nabe, zerren die Speichen im schrägen Winkel an der Felge. Ihre Vorspannkraft kann also in eine senkrechte und eine horizontale Komponente zerlegt werden. Die horizontale Komponente ist vor allem bestimmend für die Seitensteifigkeit der Felge. So verfügt beispielsweise eine superleichte Schlauchreifenfelge von 270 Gramm für Rennräder in eine 72 mm breite Vorderradnabe eingespeicht, über eine größere Seitensteifigkeit als eine 500 Gramm Felge, die in einem asymmetrisch eingespeichten Hinterrad kreiselt. Anderes Beispiel: Gleiches Einbaumaß der Naben und gleiche Speichenspannung vorausgesetzt, erhöht sich bei einem Hinterrad mit sieben Ritzeln die Seitensteifigkeit gegenüber einem mit acht Ritzel bereits um rund 25 %.
Mit ihrer Profilgebung kann die Felgen selbst auch noch einen Beitrag zu den vertikalen und seitlichen Steifigkeiten der Laufräder leisten. Tiefbett-Felgen erweisen sich als sehr verwindungsanfällig und entsprechend häufig muß bei ihnen auch ein "Achter", ein Seitenschlag herauszentriert werden. Hohlkammerfelgen hingegen werden mit Zunahme des eingeschlossenen Hohlraumes steifer. Ein Grund für die Beliebtheit der neueren Tropfenfelgen, die mit vergrößerter Hohlkammer besten Steifigkeiten erzielen. Darunter leidet dann zwar etwas der Fahrkomfort, wogegen die Speichen-Defektrate (geringere Felgenabflachung und entsprechend geringere Schwell-Belastung für die Speichen) sinkt.
Bei kleinerem Durchmesser werden die Felgen an sich bereits steifer, außerdem stehen die Speichen dann näher zusammen und die Speichenschräge nimmt zu. Das alles macht die kleineren Laufräder entschieden spurtreuer und unempfindlicher gegen Speichenbruch. Bereits im Vergleich zwischen den 28 Zoll-Laufrädern von Trekking und Reiserädern zu der im Durchmesser um 6,5 cm kleineren Mountain Bike-Felge wird das deutlich: Speichenbrüche haben die Biker nahezu "vergessen" . Ein Grund übrigens, weshalb einige Reiseradler nun das MTB bevorzugen. Steigt beim 28 Zoll-Laufrad zumindestens beim Hinterrad durch Reduzierung der Speichenanzahl das Speichenbruch-Risiko drastisch, so ist beim 26 Zoll-Laufrad eine Verminderung auf 32 oder gar 28 Speichen nahezu unbedenklich.
Die Sicherheit steht natürlich auch bei Felgen im Vordergrund. Das beginnt bereits mit mit der Profilausbildung, genauer, mit den Felgenhörnern. Obwohl in der ETRTO (Europan Tyre and Rim Technical Organization) Dimensionsvorgaben bestehen, kam es zu Reifenknallern, weil der Reifendraht über die Felgenkante ruschte. Bei vier bar Luftdruck dehnt sich nämlich der Draht in einem MTB-Reifen bereits um rund 6 mm. Genügend weit vorstehend, kann das Felgenhorn aber den Reifendraht abstützen und so seine Ausdehnung verhindern. Der Grund schlechthin, daß in der letzten Zeit die Felgenhörner länger und ausgeprägter wurden. Die ETRTO zog nach, trotzdem reizen einige Firmen die Toleranzen noch voll aus, um ihre Felgen diesbezüglich sicherer zu machen.
Ein weiterer Sicherheitsaspekt ist das Naßbremsverhalten der Felge. Der bewährte Felgenwerkstoff Aluminium zeigt hier wesentlich günstigere Bremswerte als Stahl. Allerdings zeigte sich ebenso, daß ausgerechnet die von vielen Bikern bevorzugten hartannodisierten Felgen das schlechteste Naßbremsverhalten von Alu-Felgen zeigen. Hersteller schleifen für diese in der DIN 79100 festgehaltenen Prüfvorschrift daher die Felgen möglichst rauh an, um die geforderten Werte zu erreichen. Keine Sache für die Ewigkeit, denn so oder so schleift sich die Bremsfläche der Felge mit der Zeit glatt. Da stellt sich dann die Frage, wozu die Felge dann überhaupt noch eloxieren, erfolgt durch diese Prozesse doch nur ein unnötiger Energieverbrauch und eine Umweltbelastung.
Differenziert betrachten muß man dagegen den letzte Schrei der Felgenhersteller, die Felge mit Keramik-Beschichtung an der Bremsfläche. Die nun verbessert wirklich das Naßbremsverhalten und reibt sich auch nach etlichen Tausend Betriebskilometern nicht ab. Doch kam es Anfangs schnell zum Abblättern dieser Hartschicht, da sie im Verhältnis zum Felgenmaterial ein anderes Elastizitätsverhalten besitzt, aber daran wurde und wird gearbeitet. Der Ökofraek wird dieser Neuigkeit ohnehin skeptisch gegenüberstehen, doch erhöhter Bremssicherheit sollte deswegen nicht einfach ad acta gelegt werden. Der Stückpreis von 150 DM (vorerst nur von Mavic, Ambrosio und Ridgida lieferbar) hält die Verbreitung dieser Felgen ohnehin in Grenzen. Zudem, der versierte Sportradler benötigt diese Hartschicht weniger dringlich: Er kennt das Bremsverhalten seines Velos und bremst vorausschauend ohnehin bei Nässe bereits vor Hindernissen an und trocknet so per Reibung seine nasse Felge. Wichtig wäre sie für den Normalradler, aber ob der willens ist für seine Sicherheit soviel Geld auszugeben, ist fraglich.
Noch ein Wort zum sogenannten Anodisieren der Felgen. Hierbei handelt es sich um ein Eloxier-Verfahren bei dem tiefere Temperaturen für eine dichter Eloxalschicht sorgen und per längerer Verfahrensdauer die Schicht auch noch dicker ausgebildet wird. Schwarz bis dunkelbraun eingefärbt, gilt diese auch abriebfeste Aluminium-Oxidschicht dann als Indiz für hohe Felgenfestigkeit. Dem ist aber nicht so, im Gegenteil: Preiswerte Aluminium-Sorten lassen sich komplikationsloser Eloxieren als hochfeste Legierungen.
Bei einigen Leichtfelgen (MTB-Felgen unter 400 Gramm) ist die Bremsfläche im Hornbereich bereits im Neuzustand sehr dünn (teilweise unter 0,9 mm) ausgeführt. Bereits ein geringer Felgenabrieb nach einiger Betriebszeit kann dann infolge des Reifenluftdruckes zum "Absprengen" der Felgenhörner führen. Hierbei ist es interessant zu wissen, daß sich beispielsweise die Felgenhörner von leichten MTB-Felgen unter 4 bar Luftdruck um 0,3 bis 0,6 mm nach außen biegen. Ein energischer Zugriff mit einer Hydraulikbremse oder "V"-Brake drückt die Hörner dann wieder um 0,4 bis 0,7 mm zusammen. Diese, für das kurze Felgenhorn relativ große Biegung zermürbt das Felgenmaterial und fördert so ganz erheblich den Abspreng-Effekt der Felgenhörner.
Als Felgenwerkstoff besitzt Aluminium gegenüber Stahl den Vorteil, daß bei gleichem Gewicht die dreifache Wandstärke gewählt werden kann und die geht nun wiederum in der dritten Potenz in den Widerstand gegen Einbeulungen ein. Die Materialfestigkeit hingegen hat zunächst keine Auswirkung auf die Felgensteifigkeit. Die ist lediglich vom sogenannten Elastizitätsmodul abhängig. Das ist der Material-spezifische Widerstand gegen elastische Verformungen und der ist bei allen Aluminiumlegierungen in etwa gleich. Bei hohen Belastungen für die Felge haben wir es allerdings mit anderen Verhältnissen zu tun: Durchfährt zum Beispiel zu Radler rüde ein tiefes Schlagloch über donnert über eine Kante hinweg, dann beult eine Felge minderer Festigkeit ein, während die hochfeste Felge unbeschadet bleibt, weil sie via elastische Verformung diesen Rumpler ausfedert.
Da nahezu alle Felgen heute per Strangpressen hergestellt werden, haben sich jene Alu-Legierungen für Felgen durchgesetzt, die sich dafür eignen. Die Legierungen AlMg 2 und AlMgSi 0,5 lassen sich hierbei schneller verpressen - und sind damit preiswerter - als die bis 320 N/mm Material-Festigkeit erreichende Legierung AlMgSi 1. Diese Legierung ist dann auch bei nahezu allen Topfelgen anzutreffen. Diesbezüglich haben wir also ein Kopf an Kopf Rennen aller Hersteller.
Abgesehen von der Materialgüte ist auch die Exaktheit der Felgenfertigung ausschlaggebend für die Felgenqualität. Nur genaue Rundheit und ein versetzungsfreier Felgenstoß garantieren ein Laufrad mit gleichmäßiger Speichenspannung und die wiederum ist Voraussetzung für ein defktfreies Laufrad. Muß hingegen die Felge bereits mit Speichengewalt "ins Lot" gezogen werden, so sind einige Speichen bereits bis kurz vor dem Bersten angezogen, während andere nahezu locker sind und nur Nippellöcher ausfüllen. Klar, das dann der Speichenbruch entschieden früher auftritt.
Versetzungen, Einschnürungen oder Aufweitungen am Stoß wirken sich übrigens auch negativ auf das Bremsverhalten aus. Unterschiedliche Felgendicken lassen die Bremsintensität dann beim Radumlauf periodisch wechseln, es entsteht das gefürchtete Gabelflattern. Hier kann jedoch zur Selbsthilfe geschritten werden, siehe Praxistip Nr. 4.
Auch ein weiteres Qualitätszeichen guter Felgen muß neu überdacht werden, die Ösen oder Punzen, also jene eingenieteten Teile, in denen der Speichennippel fixiert wird. Bei früheren, aus Rohren hergestellten Schlauchreifenfelgen war das Ösen unumgänglich. Damit verteilt sich die Speichenkraft gleichmäßiger im Felgenbett und verhinderten so das Ein- oder gar Ausreißen der Nippel-Bereiche. Heute läßt sich, wieder durch das Stangpress-Verfahren, das Felgenunterbett einfach dicker ausführen - man benötigt keine verstärkenden Ösen mehr. Im Gegenteil, die Verstärkungen stören. Bei der Schlauchreifenfelge verhindert der knapp einen Millimeter vorstehenden Ösenkragen ein gleichmäßiges, rundes Aufliegen des Reifens. Beim Drahtreifen erschweren sie aus gleichem Grunde die Reifenmotage, da deren Überstand im Felgenbett den Reifen schwerer über die Felgenkante bugsieren läßt. Letztlich kommen wieder Umweltbelange zum Tragen, denn bei eine geöste Felge verunreinigt der Stahlanteil die Aluminiumschmelze beim Recycling-Prozeß - der übrigens mit nur 5 % der Ersterzeugungs-Energie von Aluminium benötigt.
1. Vor dem Reifenauflegen den Stoßbereich kontrollieren: Scharfe Kanten, Grate oder ein hängengebliebender Span können zum Schlauchknaller führen. Daher gegebenenfalls Unebenheiten mit einer kleinen Schlüsselfeile oder Schmirgelleinen glätten.
2. Wer Drahtreifen mit einem hohen Luftdruck fährt, achte auf ein ausgeprägtes Felgenhorn und sichere Nippelschutzband. Zu empfehlen: Selbstklebende Bänder von Ritchey, Continenatal oder Velox, bzw. das PU-Band von Schwalbe. Und achten Sie darauf, das Band die Löcher seitlich um mindestens 2 mm überlappt.
3. Sitzt ein Drahtreifen exzentrisch auf der Felge, so besteht erhöhtes Reifen-Absprungrisiko. Dann entweder enger geschnittenen Reifen aufziehen (z.B. Continental) oder das Felgenbett mit einem zusätzlichen Nippelschutzband auffüttern.
4. Felgen mit Stoßversatz oder Stoßtaille können auch in Eigenregie plangeschliffen werden. Dazu: Schmirgelleinen (80er Korn) auf Bremsgummis kleben und 30 bis 40 Kilometer mit leicht angezogener Bremse fahren.
5. Verschmutzte Felgen lassen sich leicht mit Spühwachs (preiswerter als im Fahrradhandel in Tankstelen oder im Auto-Zubehör erhältlich) reinigen. Wachs verhindert übrigens zuverlässig Korrosions-Erscheinungen der Felge und deren Ösen.
6. Nie ein Laufrad mit einer sichtlich beschädigten Felge einspeichen. Beulen oder Verbiegungen lassen sich zwar mit Geschick und Speichengewalt ganz gut auszentrieren, belasten aber die Speichen ungleichmäßig. Der nächste Speichenbruch ist damit regelrecht "vorprogrammiert". Aus gleichem Grunde schlecht verarbeitete Felgen nie auf den höher belasteten Hinterrad fahren.
7. Schweren Fahrer oder Down Hill-Piloten sind Tropfenfelgen anzuraten. Sie sind verwindungsteifer, vertikal belastbarer und reduzieren deutlich das Speichenbruch-Risiko.
8. Damit bei Tropfenfelgen, die Nippel nicht klemmen oder gar "fressen", diese vor dem Einlegen gut einfetten. Tip für versierte Bastler: Die Nippellöcher mit einem (nicht zu scharfen) 5 mm Bohrer leicht ansenken.
9. Wer Alu-Nippel verwenden will, sollte auf möglichst kleine Nippellöcher in der Felge achten, damit sich der Nippelkragen nicht abschert - oder die neuen verdickten Nippel von DT-Swiss verwenden. Übrigens besitzen die ungeösten Felgen in der Regel kleiner Nippellöcher als die geösten. Zusätzlich empfielt es sich die Nippel mit Sprühwachs vor Korrosion schützen.
10. Rahmenflattern ist zum Teil auf vertikale und seitliche Unwuchten zurückzuführen. Vertikale Unwuchten (das Laufrad pendelt um den Felgenstoß herum) lassen sich durch Beilegen von kleinen Bleiblechen unter die Ventilmutter austarieren. Seitliche Unwuchten sind durch sauberes Zentrieren zu minimieren.
Die Lebensdauer von Felgen (sollten keine mechanischen Schäden wie Beulen oder durchschneidenden Kratzer auftreten) ist vom Bremsvehalten abhängig. Je nach Sand, Regenanteil und verwendeten Bremsgummis dauert es 10 000 bis 30 000 Kilometer, bis die Felgenflanken durchgebremst sind. Verlängern können Sie die Lebensdauer Ihrer Felgen, wenn Sie regelmäßig die Bremsgummis von dort festsitzenden Sandkörnchen oder anderen schmirgelnden Bestandteilen befreien. Felgen von Bikes mit Scheibenbremsen dagegen halten bis sie mechanisch beschädigt werden, oder bis "innere Zersetzung" (Korrosion) ein Durchkommen gefunden hat. Regelmäßige Pflege, der Einsatz von Sprühwachs und vermeiden von Fahrten auf wintergesalzenen Straßen können ein weiteres tun, um das Felgenleben zu verlängern.
Copyright und redaktionelle Inhalte:
Dipl.Ing.FH Christian Smolik 1994 -
03.08.1999
technische Umsetzung:
Dipl.Ing.FH Jörg Bucher zuletzt am
24.08.1999